Je früher psychische Auffälligkeiten erkannt und behandelt werden, desto besser kann ihre Bewältigung gelingen: „Für Kinder auf der Flucht, die zum Teil Schreckliches erlebt haben oder immer noch in einer belastenden Situation leben, gilt oft, dass die kindlichen Basisbedürfnisse „Sicherheit“, „Kontrollierbarkeit“ und „Vorhersehbarkeit“ nicht erfüllt sind oder waren. Dies kann bei Kindern und Jugendlichen massiven Stress auslösen und der traumaspezifischen Entwicklungsheterotopie zufolge eine Vielzahl psychischer Auffälligkeiten nach sich ziehen.“, so Eva Möhler, Vorstandsmitglied der DGKJP.

Am 23. April findet zum vierten Mal der World Infant, Child and Adolescent Mental Health Day (WICAMHD – Welttag für mentale Gesundheit von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen) der International Association for Child and Adolescent Psychiatry and Allied Professions statt. Das diesjährige Thema „Welten verbinden: Mentale Gesundheit von geflüchteten Kindern und Familien“ unterstreicht die Notwendigkeit die psychischen Belastungen einer Flucht für Kinder und deren Familien aufgrund von Krisen und Kriegen besser zu verstehen und die Inklusion von geflüchteten Kindern in Aufnahmeländer zu stärken. Dazu Eva Möhler: „Je früher diese Auffälligkeiten erkannt und störungsspezifisch behandelt werden können, desto besser gelingen erfolgreiche Bewältigung und Integration.“

Die Ziele von WICAMHD sind (vgl. Website):

  • das weltweite Bewusstsein für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu stärken sowie die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen;
  • die Diagnose und Behandlung aber auch die Prävention von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen durch internationale Kooperation zu verbessern;
  • die Ausbildung von Fachkräften in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ländern mit fehlenden Ressourcen voranzutreiben.

Die Stiftung „Achtung!Kinderseele“ bietet hier kurze Erklärfilme in fünf Sprachen für Familien an, die neu in Deutschland sind, denn Kinder und Jugendliche, deren Eltern nach Deutschland geflüchtet oder eingewandert sind, haben ein höheres Risiko seelisch zu erkranken – und gleichzeitig einen erschwerten Zugang zu einer frühzeitigen Diagnose und Behandlung.

Anschläge wie die von Aschaffenburg und Magdeburg entzünden Diskussionen darüber, wie die öffentliche Sicherheit besser geschützt werden kann. Wenn Täter:innen psychisch krank sind, wird auch über das Bedrohungspotential von Menschen mit psychischen Erkrankungen diskutiert. Das reicht bis zur Forderung nach einem Zentralregister für Menschen mit psychischen Krankheiten.

Jeder einzelne Anschlag ist furchtbar. Überlebende und Zeugen leiden ebenso wie die Angehörigen der Opfer oft ein Leben lang. Absolute Sicherheit vor Anschlägen wird es jedoch auch in Zukunft nicht geben. Es ist irrig anzunehmen, dass z.B. psychiatrische Expert:innen eindeutig ein Gefährdungspotential erkennen – oder ausschließen – können, da sich psychische Zustände eben auch ändern können.

Menschen mit psychischen Krankheiten sind in ihrer Gesamtheit nicht gewalttätiger als Menschen ohne psychische Erkrankungen. Wichtig ist eine Behandlung, auch um schwereren Verläufen vorzubeugen. Damit sich Betroffene die nötige Hilfe holen, dürfen sie nicht durch Stigmatisierung, Vorurteile und Diskriminierungen davon abgehalten werden. Fachexpert:innen lehnen ein Register für psychisch Erkrankte daher ab.

Bei Kindern und Jugendlichen ist die mentale Gesundheit das zentrale Gesundheitsthema in Deutschland. Seit Corona hat sich die Lage noch einmal verschlechtert. Jeder fünfte junge Mensch zeigt im Laufe eines Jahres psychische Belastungen. Psychische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter können gravierende Auswirkungen auf das spätere Leben haben. Auf Probleme in der Schule und beim Schulabschluss folgen Schwierigkeiten in Ausbildung und Beruf und schließlich nicht selten die Abhängigkeit von Sozialleistungen. Diskussionen über Register etc. führen dazu, dass das Stigma psychischer Störungen zunimmt. Immer noch wird berichtet, dass die Inanspruchnahme von entsprechenden Hilfen mit Sorgen verbunden ist, im späteren Leben, etwa bei der Berufswahl oder dem Abschluss von Versicherungen, benachteiligt zu werden.

Insofern sehen wir die derzeitigen Diskussionen mit Sorge. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden unter Generalverdacht gestellt. Auch hilft nicht, die Psychiatrie als Auffangbecken für kriminelle Menschen mit Verhaltensproblemen zweckzuentfremden. Helfen würde, psychische Erkrankungen im Alltag aus der Tabuzone zu holen und Angebote zur Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung bedarfsgerecht auszubauen.

Berlin/ Mainz/ Schleswig, 28.03.2025

 

Die mentale Gesundheit ist das zentrale Kinder- und Jugendgesundheitsthema in Deutschland. Ein Fünftel aller jungen Menschen zeigt Belastungen.

Hier besteht Reformstau. Im Bereich Gesundheit, Familie und Jugend wurden für dieses Thema entscheidende Schritte in der auslaufenden Legislatur nicht gegangen. Jetzt gehört die kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Versorgung ins Zentrum. Versorgung und Prävention müssen dringend weiterentwickelt werden. Das betrifft auch den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, wie den ÖGD, aber auch den Bereich Bildung. Es geht hier in Anbetracht von Fachkräftemangel wie finanziellen Ressourcen nicht um ein einfaches „Mehr“ in der Versorgung, sondern um verbesserte Kooperation zwischen den Systemen und Sektoren, damit ein „Besser“ in der Zukunft entsteht.

Konkret fordern die zwei kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände BAG KJPP und BKJPP und die wissenschaftliche Fachgesellschaft DGKJP:

1.      Reformen in der Versorgung

    • Ambulante psychiatrische Versorgung als Teil der Grundversorgung stärken
    • Bettenmessziffer weiterentwickeln – Globalbudgets mithilfe von Bundesrichtlinien ermöglichen
    • Defizite in der Grundversorgung beseitigen – systematische Etablierung von E-Health Angeboten – Kinder nicht schlechter stellen als Erwachsene
    • Kinderrechte und Kinderschutz bei Digitalisierungsprozessen im Gesundheitswesen mitdenken – Datenschutz und Schweigepflicht angemessen regeln
    • Rahmenbedingungen für flexibleren Personaleinsatz anpassen
    • Behandlung weiterdenken – Netzwerkarbeit und Kooperation mit anderen Leistungserbringern muss vergütet werden
  1. Arzneimittelversorgung verbessern – in Anwendung und Verfügbarkeit
    • Lösungen zum Problem des Off- Label-Use arzneimittelrechtlich schaffen
  1. Prävention, die Gefährdete erreicht
    • Prävention in die Lebenswelten (Kitas/Schulen) der Kinder bringen
    • Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken – alle Leistungserbringer einbeziehen
    • Suchtgefährdete Kinder und Jugendliche systematisch unterstützen
    • Monitoring zur Kindergesundheit wieder aufnehmen
  1. Inklusive Kinder- und Jugendhilfe als Eingliederungshilfeträger für alle jungen Menschen
  2. Psychische Störungen als Schwerpunktthema in Forschung und Ausbildung
    • Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) und Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ) dauerhaft institutionalisieren
    • KJPP in den BMBF-Förderlinien ausreichend berücksichtigen
    • Die KJPP als Pflichtfach in die Approbationsordnung aufnehmen
  1. Kinderrechte ins Grundgesetz mit aufnehmen
    • Alle Gesetzes- und Forschungsvorhaben systematisch auf ihre Auswirkungen auf Kinder überprüfen

Hinsichtlich der aktuellen Thesen von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zur Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters sind sich die kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Verbände BAG KJPP und BKJPP und die wissenschaftlichen Fachgesellschaft DGKJP einig: „Eine erschreckende Entwicklung hin zu einem Populismus – auf dem Rücken von Minderjährigen!“.

Gewalttaten von Kindern sind furchtbar, die Angehörigen der Opfer leiden extrem und jeder Fall ist ein Fall zu viel. Diese Taten aber im Wahlkampf zu nutzen, noch dazu in einer Parallele zu anderen schrecklichen Ereignissen, halten Verbände wie Fachgesellschaft – trotz Wahlkampf – für nicht vertretbar.

Linnemann hatte eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf 12 Jahre gefordert und verwies dabei auf die Schweiz. Dabei verbreitete er „fake news“ – die Schweiz hat das Strafmündigkeitsalter nicht gesenkt.

Bisher war die CDU/CSU immer offen für Beratung aus der Wissenschaft durch die jeweiligen Expert:innen, stellen DGKJP, BKJPP und BAG KJPP in ihrer gemeinsamen Stellungnahme fest. Sie hoffen dringend, dass die CDU/CSU sich wieder auf ihren bisherigen Kurs besinnt, im Dialog mit entsprechender Expertise Schlussfolgerungen zu ziehen. Empörung halten sie an anderer Stelle für angebracht, etwa wenn es um den allgemeinen Gewaltschutz von Kindern und Jugendlichen, auch im digitalen Raum etc., geht. Es wäre erfreulich, aber sicher nicht so öffentlichkeitswirksam, wenn das Generalsekretariat der CDU sich auch hier öffentlich äußern würde und entsprechende Konzepte für das Aufwachsen von Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen vorlegen könnte.

Fakten zur Delinquenz bei Minderjährigen:

  • Gewalttaten bei Minderjährigen sind meist impulsive Taten, bei denen die Fähigkeit, das Unrecht der Tat zu sehen und die Folgen des Handelns abzuschätzen und das eigene Handeln entsprechend zu steuern, entwicklungsbedingt nicht mit Erwachsenen vergleichbar ist. Diese im § 3 JGG niedergelegte Erkenntnis gilt zu Recht EU-weit als vorbildlich und wurde in das Jugendstrafrecht anderer Staaten übernommen.
  • Schwere Gewalttaten durch unter 14-Jährige sind in diesem Altersabschnitt extrem selten, erregen aber die mediale Aufmerksamkeit.
  • Eine abschreckende Wirkung durch eine Altersabsenkung der Strafmündigkeit ist weder belegt noch wahrscheinlich, auch aufgrund der hohen entwicklungsbedingten Impulsivität.
  • Der oberflächliche Vergleich mit anderen Ländern ist unredlich. Hierzu müsste dann ggf. auch das gesamte System des Jugendstrafrechts einbezogen werden. Das beliebte Beispiel der Schweiz „sperrt Kinder“ eben nicht weg, sondern sieht Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen (wie in Deutschland) vor, jedoch ist das System hierzu um ein vielfach Höheres mit finanziellen Mitteln ausgestattet als in Deutschland. Inhaftierung ist in der Schweiz erst ab dem Alter von 15 Jahren möglich – anders als bei uns, wo dafür die Untergrenze von 14 Jahren gilt.

Interdisziplinärer Appell aus Forschung und Fachpolitik

Es ist in den letzten Jahren ein parteiübergreifender Konsens entstanden, dass die Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche eine Daueraufgabe der Bundespolitik ist und diese gesetzlich zu verankern ist.

Seit der breiten Skandalisierung von sexueller Gewalt im Jahr 2010 hat sich in der Politik, Forschung und Fachpraxis zur sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Deutschland auch dank der Bundespolitik viel getan. Aus dem früheren gesellschaftlichen Tabuthema und einer politischen Randständigkeit hat sich eine neue Qualität der politischen und fachlichen Aufmerksamkeit und Sensibilisierung entwickelt. Dazu beigetragen haben die Initiativen von Betroffenen, zivilgesellschaftliches Engagement, die Einrichtung des Amtes der*/des UBSKM (Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs), unabhängige Aufarbeitung sowie Forschungsförderung für Gesundheits- und Bildungsforschung zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auf Bundesebene. Auch international wird der Bekämpfung sexueller Gewalt heute mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Gewaltfreies Aufwachsen ist Teil eines der Nachhaltigkeitsziele, auf die sich die Weltgemeinschaft geeinigt hat. Im Rahmen des Sustainable Development Goal 16 der United Nations wird explizit als Ziel betont: „End abuse, exploitation, trafficking and all forms of violence and torture against children” (dt.: Beendigung von Missbrauch, Ausbeutung, Menschenhandel und allen Formen von Gewalt und Folter gegen Kinder). Dieses Ziel reflektiert weltweite Forschungsbefunde zur Häufigkeit von Gewalt gegen Kinder und zu den langfristigen Folgen für die Individuen und die Gesellschaft.

Durch die Digitalisierung hat sich die weltumspannende Ausbeutung von Kindern, neben dem Menschenhandel, weiter verschärft und ist zu einem enormen Problem geworden, das wir neben den nationalen Fragestellungen im Kinderschutz ebenso beachten müssen, wie die Folgen von Gewalt gegen Kinder in kriegerischen Konflikten und auf der Flucht. Das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern sowie die Sicherheit für Betroffene von Gewalt, dass sie mit gerechten Reaktionen und Hilfe und Unterstützung rechnen können, stellen – wie alle anderen Sustainable Development Goals (SDGs) – somit eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe dar.
Darüber hinaus ist gewaltfreies Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen ein grundlegendes Thema des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Demokratie und damit auch ein wesentlicher Faktor für die innere Sicherheit. Darum ist auch die interdisziplinäre Forschung zu sexueller Gewalt in Familien und den Schnittstellen zu sexueller Gewalt in anderen Kontexten weiter zu vertiefen.
Gegenwärtig befindet sich ein Gesetzentwurf – das sog. UBSKM-Gesetz – im parlamentarischen Verfahren. Die Anliegen dieses Gesetzesentwurfes sind überparteilich beraten und abgestimmt. Sie sollten nicht weiter aufgeschoben werden. Es umfasst auch die Anerkennung des zivilgesellschaftlichen Engagements vieler Betroffener und in der Beratungsarbeit und Aufarbeitung aktiver Personen, indem der Betroffenenrat und die Unabhängige Aufarbeitungskommission mit dem Amt des*/der Unabhängigen Beauftragten gesetzlich verankert werden. Zudem soll ein „Zentrum für Forschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ die UBSKM in der Wahrnehmung ihrer Berichtspflicht nach §7 des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen unterstützen. Dieses Zentrum, welches endlich ein staatliches Prävalenz-Monitoring dauerhaft etablieren und einen Überblick über relevante Forschungsergebnisse liefern soll, ist deshalb nicht nur für die Politikberatung, sondern auch für die Betroffenenbeteiligung und die Praxisberatung wichtig.

Darüber hinaus können beispielhaft drei weitere Herausforderungen genannt werden, die in den kommenden Jahren durch gesetzliche Regulierungen und interdisziplinäre Forschung bearbeitet werden müssen:

1. Sexuelle Gewalt im digitalen Alltag: Die technologiegestützte sexualisierte und sexuelle Gewalt ist in den letzten Jahren stark gewachsen (BKA, Europol), wobei das wahrgenommene Hellfeld nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Künstliche Intelligenz kann entsprechende Inhalte generieren, künstliche Intelligenz kann aber auch dafür eingesetzt werden, die Herkunft solcher Inhalte zu dechiffrieren oder Kinder und Jugendliche selbst dabei zu unterstützen, ihr Verhalten in sozialen Medien zu analysieren und ggf. individualisierte Rückmeldungen und Interventionen zum Schutz darauf abstützen. Zudem haben Digitale Medien und Beratung sowie Beratungstools wie „Chatbots“ eine große Bedeutung in der Orientierung bei der Hilfesuche und in der ersten Information. Insgesamt wird in der Präventions- und Interventionsforschung noch zu wenig beachtet, dass auch die Kindheit und Jugend in der Kindertagesbetreuung, Schule, im Studium und Beruf in einen analog-digitalen Alltag eingebunden sind.

2. Betroffenen- und Angehörigenbeteiligung: Seit Jahren wird die Stärkung der partizipativen Forschung mit Betroffenen und Angehörigen gefordert. Dennoch ist die methodologische und organisationale Absicherung bisher nur begrenzt geschehen. Die Anerkennung der Betroffenen durch die Forschung erfordert partizipative Forschungszugänge und eine organisationale Stärkung der Betroffenenorganisationen. Für diesen Bereich wären auch Begleit- und Unterstützungsprogramme für Betroffene erforderlich, die in Beteiligungsstrukturen mitarbeiten möchten und Untersuchungen zu Gelingensbedingungen z.B. bei der Betroffenenbeteiligung in Aufarbeitungsprojekten durchführen.

3. Recht und Verhalten: Zudem besteht eine Forschungslücke in der interdisziplinären Forschung zum Zusammenhang von Recht und Verhalten, auch bezüglich der Intervention bei verurteilten und nicht verurteilten Straftätern etc. Erst aktivere Forschung zu Fragen der Forensischen Begutachtung, aber auch zu den Verfahren z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe und anderen Rechtsfeldern wird dazu führen, diesem Feld an der Schnittstelle von Gesundheits-, Sozial- und Rechtswissenschaften mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Weiterhin bedarf es eines intensiven bundespolitischen Engagements für den nachhaltigen Kinderschutz gegen sexuelle Gewalt in Deutschland. Nur so können die Interventions- und Hilfestrukturen weiter verbessert werden. Dies bedeutet nicht, die Bundesländer und Kommunen aus der Verantwortung zu nehmen, sondern anzuerkennen, dass die Bekämpfung sexueller Gewalt auch eine gesamtgesellschaftliche und bundespolitische Aufgabe ist.
Es ist zwar in den vergangenen Jahren eine beachtliche Sensibilisierung im institutionellen Gefüge des Aufwachsens erreicht worden. Dennoch besteht in der aktuellen bundespolitischen Lage eine Verunsicherung, wie die infrastrukturellen Herausforderungen einer abgestimmten Strategie z.B. zur Schutzkonzeptentwicklung in den Kindertagesstätten, in den Schulen und in der Kinder- und Jugendhilfe, erreicht werden soll.
Damit die Entwicklung nicht zum Erliegen kommt und in vielfältige Einzelinitiativen und regionale Schwerpunkte zerfällt, müssen die angelegten Strukturen nun gefestigt werden. Schutzkonzepte müssen überall wirksam werden. Berücksichtigung in der Schutzkonzeptentwicklung müssen auch Felder finden, die nahezu vollständig fehlen, wie z.B. der Schutz von jungen Menschen bei kommerziellen Anbietern. Sie können derzeit einen wachsenden „Marktanteil“ verbuchen. Hier steht der Bund in der Verantwortung.
Wenig wurde bis dato auch in die Frage investiert, wie Schutzkonzepte bei sexueller Gewalt in Familien greifen können. Institutionelle Schutzkonzepte sind nicht einfach transferierbar; hier müssen erst noch spezifische Ansätze entwickelt werden. Auch hier ist für eine Gesamtstrategie die Bundespolitik zusammen mit den Bundesländern gefordert.

Mit diesem Appell wird gefordert, dass die politischen Initiativen zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch die zukünftige Bundesregierung weiter gestärkt und nicht unterbrochen werden:

  • Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nachhaltig bekämpfen.
  • Bundespolitisches Engagement gegen sexuelle Gewalt ressortübergreifend aufrechterhalten und weiter stärken.
  • Unabhängige Beauftragte gegen sexuellen Kindesmissbrauch (UBSKM) gesetzlich absichern und interdisziplinäre Forschung weiter fördern.

Erstunterzeichner*innen:

Prof. Dr. Sabine Andresen, ehemalige Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur
Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs; Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Prof. Dr. Meike Sophia Baader, bis 2024 Vorsitzende des Beirates der Förderlinie des BMBF zu
Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche; Professorin an der Universität Hildesheim

Prof. Dr. Karin Böllert, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ,
Senior-Professorin an der Universität Münster

Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, Sprecher des Zentrums für Traumaforschung der
Universität Ulm, Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg

Prof. Dr. Barbara Kavemann, Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen
Kindesmissbrauchs

Prof. Dr. Heinz Kindler, Deutsches Jugendinstitut (DJI)

Prof. Dr. Michael Kölch, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und
Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter, Universitätsmedizin Rostock; Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)

Prof. Dr. Elisabeth Tuider, Leitung des Fachgebiets Soziologie der Diversität an der Universität Kassel

Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl, Freie Universität Berlin

Prof. Dr. Sabine Walper, Vorstandsvorsitzende und Direktorin des Deutschen Jugendinstituts (DJI)

Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Vorsitzender des Bundesjugendkuratoriums, Professor an der Universität Hildesheim

Prof. Dr. Mechthild Wolff, ehemalige Vorsitzende des Beirats des Unabhängigen Beauftragten
für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Professorin an der Hochschule Landshut

G-BA-Projekt liefert neuen Ansatz zur Personalbemessung

Wieviel Personal braucht es für eine gute Therapie von Menschen mit psychischen Erkrankungen? Die medizinischen Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) hatten dazu zusammen mit 20 weiteren Fachverbänden ein Modell entwickelt, das jetzt mit dem Projekt EPPIK wissenschaftlich evaluiert wurde. Damit liegt erstmals eine geprüfte Methode vor, den Personalbedarf in der stationären psychiatrischen Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu ermitteln.

Das sogenannte „Plattformmodell“ bietet die Möglichkeit, notwendige Behandlungsprozesse und damit verbundene Personalbedarfe in der stationären Behandlung zu definieren. Es orientiert sich am Behandlungsbedarf psychisch erkrankter Menschen und betrachtet diesen auf verschiedenen, jeweils multidisziplinär besetzten Dimensionen: psychiatrisch-psychotherapeutisch, somatisch und psychosozial. Für jede dieser drei Dimensionen wird zwischen regulärem und erhöhtem Versorgungsbedarf unterschieden. So entstehen insgesamt acht Bedarfscluster.

Mit der vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) finanzierten Studie „Überprüfung der Eignung des ‚Plattformmodells‘ als Instrument zur Personalbemessung in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken (EPPIK)“ wurde das Modell nun empirisch getestet. Die Studie wurde in Kooperation mit den medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften DGPPN und DGKJP von einem multidisziplinären Projektteam aus Forschung, Beratung und Versorgung unter Koordination der Universität Ulm durchgeführt.

Für die Studie wurden Daten von fast 11.000 Patientinnen und Patienten aus insgesamt 54 Kliniken der Erwachsenen- bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie analysiert. Zunächst wurde überprüft, ob der jeweilige Behandlungsbedarf mit Hilfe des Plattformmodells reliabel eingeschätzt werden kann. Anschließend haben Expert_innen aus allen an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen gemeinsam mit Betroffenen erarbeitet, wie eine optimale Behandlung für Patient_innen in jedem der acht Bedarfscluster aussehen sollte. Hierfür wurde ausgehend von beispielhaften Fallvignetten bestimmt, welche Behandlungsbausteine und Tätigkeiten für die multiprofessionelle Behandlung von Patient_innen in jedem der Bedarfscluster notwendig sind und wieviel Zeit dafür benötigt wird. Schließlich wurde mit Hilfe der Delphi-Methode, einem systematischen, mehrstufigen Befragungs- und Schätzverfahren, ermittelt, wieviel Personal für die derart definierte Behandlung benötigt wird. Erste Ergebnisse des Projektes wurden im März bei einem Symposium vorgestellt.

„EPPIK liefert erstmals empirische Daten für ein Modell zur Personalbemessung in der stationären Psychiatrie“, ordnet Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaft DGPPN, die Ergebnisse ein. „Es zeigt sich, dass der Behandlungsbedarf der Patient_innen reliabel eingeschätzt werden kann. Auch die Dimensionen des Modells bilden sich wie erwartet ab: So ist zum Beispiel in den Clustern mit einem erhöhten somatischen Bedarf auch der Zeitaufwand für die Pflege und die Ärzte_innen besonders hoch.“

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) Prof. Dr. Marcel Romanos ergänzt: „Die Studie hat aufgezeigt, wie eine Personalbemessung für eine moderne Behandlung psychiatrischer Patient_innen mittels Konsenses von Expert_innen entwickelt werden kann. Dieses Vorgehen ist unserer Erkenntnis nach weltweit einzigartig. Damit sind jetzt wichtige notwendige Bestandteile der multiprofessionellen Behandlung nachvollziehbar und auch der Personalbedarf dafür.“

Insgesamt liegt der durch EPPIK ermittelte Personalbedarf deutlich höher als die Mindestvorgaben der Personalrichtlinie PPP-RL. Allerdings beziehen sich die Vorgaben der PPP-RL auf mehr als 30 Jahre alte Personalzahlen und wurden ohne Evidenzgrundlage und ohne die Bezugnahme auf Leitlinien definiert. EPPIK geht dagegen von dem tatsächlichen Bedarf der Betroffenen aus. Die Differenz ist deshalb nicht verwunderlich.

Die psychiatrischen Fachgesellschaften DGPPN und DGKJP engagieren sich seit vielen Jahren für eine evidenzbasierte Personalbemessung in der Psychiatrie und Psychotherapie. Nachdem die Studie EPPIK nun bestätigt hat, dass das Plattformmodell für die Personalbemessung in der stationären Psychiatrie grundsätzlich geeignet ist, könnte der Ansatz auf andere Settings und Rahmenbedingungen übertragen werden. So ließe sich analog auch der Personalbedarf in der ambulanten Versorgung ermitteln.

In diesem Frühjahr soll planmäßig erstmals eine S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter erscheinen. 27 Fachgesellschaften sowie zwei Patienten-Interessenorganisationen beteiligten sich an der Ausarbeitung der Leitlinie. In einem Press Briefing vom Science Media Center begründeten die Autorinnen sowie ein Autor und eine unabhängige Expertin die Behandlungsempfehlungen.

Drei Expert:innen der DGKJP, die diese Leitlinie federführend erstellt hat, äußern sich hier  zu ihrem Inhalt.

Weitere Informationen:

Darf ich auch mal probieren?
Zum Gesetz zur Legalisierung von Cannabis

Kinder und Jugendliche werden durch die geplante Normalisierung des Cannabiskonsums in ihren Entwicklungs- und Lebensperspektiven beeinträchtigt. Auf Grund der siebenfach erhöhten Suchtgefahr bei Jugendlichen gegenüber Erwachsenen entstehen mehr Abhängigkeiten. Insbesondere für sozial benachteiligte junge Menschen stellt die vorgesehene Cannabislegalisierung eine Einladung zur Suchterkrankung dar. Zwingend notwendig sind deshalb eine Bedarfsanpassung der Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche mit substanzbezogenen Störungen, der Ausbau und die Entwicklung der medizinischen Rehabilitation für suchtkranke Jugendliche sowie eine breit aufgestellte Prävention von Suchterkrankungen.

Verschiedene Studien (z.B. Analyse CPME, INCB Annual Report 2022) und internationale Erfahrungen zeigen, dass eine Cannabislegalisierung den Cannabisgebrauch junger Menschen ausweitet, ihre Risikowahrnehmung beim Drogenkonsum verringert und ihre Gesundheit gefährdet. Überdies führt das Cannabisgesetz nicht zur Eindämmung des Schwarzmarktes. Eine ernsthafte, wissenschaftliche Evaluierung der Gesetzesauswirkung ist aufgrund von Mittelkürzungen kaum noch möglich, wodurch ein gestiegener Behandlungsbedarf ausschließlich in der Praxis sichtbar sein wird.

Aktuell stehen in Deutschland für Kinder und Jugendliche mit substanzbezogenen Störungen für die qualifizierte Entzugsbehandlung und die sich anschließende Behandlung der komorbiden psychischen Störungen etwa 220 Betten an Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zur Verfügung. Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz für Kinder und Jugendliche betragen derzeit 4-6 Monate. Allein durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie verzeichnen die Kliniken für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie einen Anstieg an suchtkranken Jugendlichen. Der Anteil jener, die nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung einer Langzeittherapie bedürfen hat bereits heute um 50 % zugenommen.

Qualifizierte Angebote der Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung einerseits und unbehandelte Suchterkrankungen andererseits sind mit Kosten verbunden, deren Übernahme nicht sichergestellt ist. Suchtkranke Jugendliche sehen unsere Sozialsysteme nicht vor. Die Rentenversicherung kennt keine adäquate Finanzierung für eine Behandlung. Mit den Sätzen ihrer sogenannten „Kinderrehabilitation“ ist eine suffiziente Suchtbehandlung nicht leistbar. Die Krankenkassen sehen sich nur bedingt für Langzeittherapien in der Verantwortung. Die Jugendhilfe, nach SGB IX originärer Rehabilitationsträger, sieht sich für medizinische Probleme nicht zuständig.

Um junge Menschen zukünftig verstärkt vor einem Cannabismissbrauch zu schützen sind wirksame Präventionsmaßnahmen im Sinne eines erschwerten Zugangs hierzu (sog. Verhältnis-Prävention) notwendig. Überdies sind gesetzliche Regelungen zum Ausbau der Versorgungskapazitäten sowie zur Klärung der Finanzierung und der sozialrechtlichen Zuständigkeiten dringend erforderlich.

Das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland soll am 1. April 2024 in Kraft treten. Eine Entscheidung im Bundesrat steht noch aus und soll hier am 22. März 2024 beraten werden. Die DGKJP setzt sich für psychisch erkrankte junge Menschen gegenüber der Politik ein.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) hat Frau PD Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Yulia Golub (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Forschungsbereich Stress und Substanzabhängigkeit im Jugendalter, Universitätsklinikum Dresden) und Herrn Prof. Dr. Julian Koenig (Köln) mit dem Hermann-Emminghaus-Preis ausgezeichnet. Frau PD Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Golub wurde für Ihre Arbeiten zum Thema „Trauma und Sucht: gemeinsame neurobiologische und klinische Trajektorien im Kindes- und Jugendalter“ und Herr Prof. Dr. Koenig für seine Arbeiten zum Thema „Vagale Aktivität und vagale Stimulation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ auf dem XXXVII. DGKJP Kongress, der vom 18. bis 21. Mai in Magdeburg stattfindet, ausgezeichnet.

Die DGKJP verleiht den Preis auf ihren Kongressen an Nachwuchswissenschaftler:innen, die grundlegende wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Diagnostik, der Prognose oder der Therapie psychischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter geleistet haben.

PD Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Yulia Golub ist geschäftsführende Oberärztin des Forschungsbereiches Stress und Substanzabhängigkeit im Jugendalter an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikums Dresden.

Prof. Dr. Julian Koenig hat an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an die Uniklinik Köln die Professur für Biologische Kinder- und Jugendpsychiatrie inne.

Kriege haben Folgen, insbesondere für Kinder und Familien. Die Traumata können zu Angst und Depression bei Geflüchteten führen. Der Krieg ist medial überall präsent, und in Deutschland und anderen Ländern machen sich junge Menschen Sorgen und haben Ängste. Die DGKJP setzt sich mit verschiedenen Aktivitäten zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Kontext des Krieges in der Ukraine ein.

Aktuell hat der DGKJP-Vorstand 10 Punkte  formuliert, die sich an die Öffentlichkeit, Politik aber auch an Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und auch an Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen richten.

Es geht um die notwendigen Hilfen und die medizinische/therapeutische Versorgung von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern.

Die DGKJP adressiert die konkret notwendigen Maßnahmen für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen und für weiteres politisches Handeln.