Gemeinsame Stellungnahme

Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP), Dazugehören e.V., Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkund e.V. (DGPPN) zum

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Wir begrüßen, dass nunmehr ein Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorgelegt wird.

Sexuelle Gewalt gegen Minderjährige ist ein Faktor, der stark zu einer negativen psychischen (und körperlichen) Gesundheit beiträgt und der zudem lange Zeit tabuisiert wurde.
Die DGKJP hat den Nationalen Rat gegen sexuellen Kindesmissbrauch und auch den bzw. die UBSKM in ihren Aktivitäten unterstützt. Insofern sehen wir es als begrüßenswert an, dass nunmehr die Rolle eine:r UBSKM mit dem vorgelegten Entwurf verstetigt und gesetzlich anerkannt wird.
Es wird ebenfalls begrüßt, dass als zentrale, das gesamte Gesetz prägende Norm mit dem Recht auf Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung eine klare Zielbestimmung verankert ist, verbunden mit dem konkreten Auftrag an die staatliche Gemeinschaft, Maßnahmen zur Umsetzung dieses Schutzes für Kinder und Jugendliche zu implementieren.
Die einzelnen Regelungen zur Verstetigung der UBSKM und des Betroffenenrates, der verstärkten Aufklärung, der Verbesserung der Aufarbeitung (auch durch Fallanalysen im Rahmen von Institutionen, bzw. individuell für Betroffene durch besseren Aktenzugang und Unterstützung), aber auch die Verstetigung der Beratungsmöglichkeiten für Angehörige der Heilberufe begrüßen wir. Als wissenschaftlicher Fachgesellschaft ist es uns auch besonders wichtig, dass das im Nationalen Rat breit diskutierte Zentrum zur Forschung etabliert wird und nachhaltig Forschung zu Prävalenz und Prävention (auch im Verbund mit Universitäten und Hochschulen) in der Zukunft ermöglicht wird. Dazu wird eine entsprechende Finanzierung auch in der Zukunft notwendig sein.

Zu einzelnen Punkten nehmen wir wie folgt Stellung:

BZgA:
§ 2 Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung zum Schutz vor sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Wir unterstreichen den in (2) genannten notwendigen Transfer in Lebensbereiche von Kindern. Hier erscheint uns aufgrund aus anderen Kontexten bekannter Besonderheit im Rahmen des Föderalismus der Schulbereich sehr zentral zu sein. Wir begrüßen ausdrücklich, dass hier der Auftrag nicht nur im Bereich der Entwicklung von Materialen bei der BzGA (oder dem BIPAM) liegen wird, sondern eben auch im Transfer. Hier wäre ggfs. eine Evaluation des Gelingens noch in den Text hineinformulierbar gewesen.

Aufarbeitung
In Bezug auf die Aufarbeitung muss die staatliche Gemeinschaft künftig dafür Sorge tragen, dass alle in Kindheit und Jugend von sexueller Gewalt betroffenen Personen mit bedarfsgerechter Beratung und Unterstützung ihre Erlebnisse individuell aufarbeiten können: Diese individuellen Prozesse werden flankiert und ergänzt durch Aufarbeitung in Institutionen, Staat und Gesellschaft. Es wird begrüßt, dass § 3 Abs. 1 als Ausgestaltung der übergeordneten Zielbestimmung von § 1 Abs. 1 S. 1 vorgibt, dass die staatliche Gemeinschaft für Betroffene konkrete Maßnahmen zur Linderung des Leids und der noch andauernden Folgen sowie zur Sichtbarmachung und Anerkennung des Unrechts ergreift. Darüber hinaus wird grundsätzlich auch begrüßt, dass gemäß § 3 Abs. 2 ein Beratungssystem zur Unterstützung bei der individuellen Aufarbeitung bereitgestellt werden soll und zwar umfassend für Betroffene aus allen Kontexten, insbesondere auch aus dem Kontext Familie, in dem die meisten Missbrauchsfälle vorkommen.
Das in der Gesetzbegründung dargelegte Beratungssystem des Bundes dürfte aber keinesfalls ausreichen, um Betroffene in ihrem Aufarbeitungsprozess in geeigneter Weise zu begleiten und bedarfsgerecht zu unterstützen, wie vom Gesetz gefordert (§ 3 Abs. 1). Es bestehen vielmehr erhebliche Zweifel, dass ein geeignetes Konzept, das diesen Anforderungen entspricht, mit den bereitgestellten Mitteln von lediglich 2,5 Mio. EUR jährlich zu finanzieren sein wird (siehe dazu Referentenentwurf S. 30). Hier wird ein offensichtlicher Widerspruch gesehen zu der übergeordneten Zielsetzung aus § 1 Abs. 1 S. 1 und der einhergehenden Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft. Die Unterstützung von Betroffenen bei ihrer individuellen Aufarbeitung sollte als Unterstützungs- und Beratungsanspruch für Betroffene ausgestaltet und gleichzeitig sollten ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden. Ansonsten könnte die Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft ins Leere laufen, eine Verbesserung der individuellen Lage von Betroffenen zu erreichen, insbesondere auch in gesundheitlicher Hinsicht. Es sei darauf hingewiesen, dass bereits eine Vielzahl teils rein spendenfinanzierter und bisher nur wenig qualitätsgesicherter, kommunaler oder kirchlicher Beratungsstellen sowie niedergelassene Therapeut:innen existieren, daneben die im Rahmen des SGB XIV neu geschaffenen Trauma-Ambulanzen, und dass die Aufgabe auch so verstanden könnte diese Angebote zu zertifizieren, zentral zugänglich zu machen und Betroffene vor Fehlbehandlungen zu schützen.

Fallanalysen sind ein gutes Mittel, um fehlerhafte Verläufe aber auch gute Verläufe zu analysieren. Allerdings setzen Fallanalysen setzen entsprechende datenschutzrechtliche Voraussetzung voraus, was wiederum eine Regelung erfordert, dass Daten und Akten auch verwendet werden können. Hinsichtlich der Frage des Datenschutzes sind wir nicht die juristisch berufene Institution. Jedoch ist im Forschungskontext bekannt, welche Probleme datenschutzrechtliche Regelungen zeitigen können, und ggfs. sogar dazu führen können, dass eigentlich schützenswerte Interessen an Forschung zurückstehen hinter prinzipiellen Datenschutzfragen. Im Bereich der Medizin wurde dies u.a. aufgrund der Covid-Pandemie erkannt und die deutsche Problematik, etwa im Vergleich zu skandinavischen Ländern ist was Versorgungsdaten angeht vom BMG aufgegriffen worden. Sozialrechtliche Datenschutzregelungen können ein erhebliches Hindernis für Aufarbeitungsprojekte darstellen. Wenn das Gesetz hier die Chance ergriffe eine Rechtsgrundlage im Sozialrecht für Aufarbeitungsprojekte zu schaffen, so wäre dieses von Vorteil. Die jetzigen Regelungsvorschläge scheinen uns hier ggfs. nicht wirklich ausreichend, und wir regen hier zumindest nochmals eine Überprüfung an.
Wir begrüßen die Verpflichtung zur Aufbewahrung der Fallakten im Bereich der Jugendhilfe und aus Heimeinrichtungen, geben aber angesichts der bisherigen Erfahrungen aus der Aufarbeitung zu bedenken, dass die Aufbewahrungsfrist von 20 Jahren nach Vollendung des 30. Lebensjahres zu kurz ist. Bei vielen Betroffenen entsteht das Bedürfnis nach Rückschau erst mit dem nahenden Ruhestand. Aus unserer Sicht wäre eine Aufbewahrungsfrist von 35 Jahren angemessener (SGB VIII, § 9b).

UBSKM (§4ff):
Bezogen auf die Berichtspflicht halten wir einen Bericht pro Legislatur für unabdingbar. Jedoch sollte bezogen auf das Monitoring ggfs. geprüft werden, ob nicht eine jährliche Berichtspflicht sinnvoller wäre. Im Verbund mit dem aufzubauenden Zentrum wäre dies auch gerade in der Aufbauphase ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit und auch an die Fachwelt, um Entwicklungen der (sexuellen) Gewalt gegen Kinder zeitnah rezipieren zu können und ggfs. Maßnahmen zu gestalten. Veränderungen sind nicht nur von Relevanz, was die Prävalenz angeht, sondern auch bezogen auf die Entwicklung von Schutzkonzepten. Dies ist auch insofern von Bedeutung, als dass das Monitoring kein Selbstzweck sein kann, sondern auch dazu dienen soll, Strukturen weiterzuentwickeln, bzw. auch aufrechtzuerhalten. Gerade unter den derzeitigen Bedingungen, die aufgrund vielfältiger Aspekte auch Standards teilweise in Frage stellen (aufgrund des Fachkräftemangels, ökonomischer Aspekte etc.) wird dies in Zukunft Relevanz haben.

Beratung im medizinischen Kinderschutz (§ 6 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz)
Wir begrüßen die Fortführung eines Beratungsangebots, das sich an die Heilberufe richtet. Die Mittlerfunktion eines solchen Beratungsangebots zwischen den am Kinderschutz beteiligten Disziplinen und Professionen erscheint weiterhin wichtig, um gerade auch für den Bereich der Heilberufe Handlungskompetenz bei Verdachtsfällen herzustellen.
Auf S. 55 („Zu Absatz 3“) muss es bei der Facharztbezeichnung heißen: Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.

Wir bemängeln aber, dass nur die Heilberufe aufgeführt werden, aber nicht die Heilhilfsberufe und die Krankenpflege. Letzte beide sollten unbedingt ergänzt werden. Dies ist auch deshalb wichtig, da diese wesentlichen Beobachtungen im medizinischen Kinderschutz machen. Ergebnisse dazu hat die Studie von Frank geliefert (Frank, R., & Räder, K. (1994): Früherkennung und Intervention bei Kindesmisshandlung. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit).

Ärztinnen und Ärzte als Initiatoren dieser Erklärung wie auch weitere Professionen aus dem Gesundheitswesen betrachten deshalb mit großer Sorge, wie Hass und Hetze zunehmen und unsere demokratischen Werte mehr und mehr in Frage gestellt werden. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind für ein menschliches, diskriminierungsfreies
Gesundheitswesen essenziell.

Gemeinsame Stellungnahme der BAG KJPP, des BKJPP und der DGKJP

Nach der Cannabislegalisierung: Was steht an aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie?

Jugendliche werden, so unsere Prognose aus allen Stellungnahmen, die Legalisierung als „Aufforderung zum Tanz“ erleben. Es wird sich nicht verhindern lassen, dass sie sich vom Privatanbau etwas abzweigen. Dealer können mit mittelgroßen Mengen ungehinderter unterwegs sein und Jugendliche werden sich weiterhin auf dem preiswerteren Schwarzmarkt bedienen. Auf Grund der etwa siebenfach erhöhten Suchtgefahr bei Jugendlichen gegenüber Erwachsenen werden mehr Abhängigkeiten entstehen als bisher.

Entgegen ihrer Ankündigungen und der vehementen Aufforderung der Fachverbände hat die Bundesregierung versäumt, vor Inkrafttreten des Gesetzes verlässliche Basisdaten festzustellen und ein Monitoring-Design aufzugleisen, das den Namen verdient hat. Zur Ausgestaltung der angekündigten Evaluation nach 18 Monaten und vier Jahren existieren für Jugendliche nur die routinemäßigen, auf EU-Ebene erhobenen Daten. Im Gesetz wurden dafür ursprünglich vorgesehene Mittel gestrichen. Das bedeutet, dass eine ernsthafte, wissenschaftliche Evaluierung der Gesetzesauswirkung kaum noch möglich sein wird.

Letztlich wird es nur die Inanspruchnahme der Beratungsstellen und der Kliniken sein, die Aufschluss über einen gestiegenen Behandlungsbedarf geben kann. Aber die Akutbehandlungsplätze in Deutschland sind sehr unterschiedlich auf die Bundesländer verteilt. Aktuell stehen in Deutschland für Kinder und Jugendliche mit substanzbezogenen Störungen für die qualifizierte Entzugsbehandlung und die sich anschließende Behandlung der komorbiden psychischen Störungen etwa 220 Betten in 20 Schwerpunktabteilungen an Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zur Verfügung (siehe im Internet unter: www.dgkjp.de/die-dgkjp/klinikfinder/). Demgegenüber werden für Erwachsene etwa 6.000 Plätze für die qualifizierte Entzugsbehandlung in psychiatrischen Krankenhäusern und Abteilungen vorgehalten (DHS, 2019). Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz für Kinder und Jugendliche betragen derzeit 4-6 Monate.

Bereits durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie verzeichnen die Kliniken für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie einen Anstieg an suchtkranken Jugendlichen mit Konsummustern, die mit Cannabiskonsum beginnen und sich zu einem gefährlichen Konsum mehrerer Substanzen ausweiten. Fachlich bedürfen diese Jugendlichen eines gesonderten suchtspezifischen Settings. Qualifizierte Entzugsbehandlungsangebote, die den Kriterien des OPS (www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme) entsprechen, sind teuer. Sie werden angesichts des bevorstehenden Entzugs der Subventionierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Bundesgesundheitsministerium infolge der Kürzungen kaum ohne politischen Druck allein durch die „Selbstverwaltungspartner“ der Krankenhausversorgung ausgebaut werden. Die langfristigen Kosten, die unbehandelte Suchterkrankungen durch Herausfallen aus Schule und Arbeit oder gar drogeninduzierte Psychosen auslösen und die gesamtgesellschaftlichen Einnahmeverluste sind dabei noch gar nicht in den Blick genommen. Die noch in der Entwicklung befindliche Krankenhausreform wird hier entgegen der sonstigen Verdichtungsbemühungen die Bundesländer verpflichten müssen, die diesbezügliche Versorgung sicherzustellen.

Bereits heute ist überdies der Anteil an Jugendlichen, die nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung einer Langzeittherapie bedürfen, um 50 % gestiegen. Er liegt jetzt bei rund 30 % der in stationärer qualifizierter Entzugsbehandlung befindlichen Jugendlichen, wie eine Blitzumfrage der DGKJP ergab. Dem gegenüber steht, dass 2023 die bundesweit erste auf Jugendliche spezialisierte Rehabilitationseinrichtung der LWL-Klinik in Hamm aus Gründen der Unterfinanzierung schließen musste, und dass eine weitere Einrichtung, die Dietrich Bonhoeffer Klinik in Ahlhorn, Anfang 2024 Insolvenz angemeldet hat. Festzustellen ist: suchtkranke Jugendliche sehen unsere Sozialsysteme nicht vor. Die Rentenversicherung kennt keine adäquate Finanzierung, denn Leistungsansprüche wurden von Jugendlichen zumeist noch nicht erworben. Mit den Sätzen der sogenannten „Kinderrehabilitation“ (die inzwischen seitens der Deutschen Rentenversicherung für suchtkranke Kinder und Jugendliche vorgesehen wird ) ist eine suffiziente Suchtbehandlung nicht leistbar. Die Krankenkassen sehen sich nur bedingt für Langzeittherapien in der Verantwortung. Die Jugendhilfe, nach SGB IX originärer Rehabilitationsträger, sieht sich für medizinische Probleme nicht verantwortlich. Mischmodelle scheiterten bisher an unterschiedlichen Bewilligungs- und Qualitätssicherungsvorgaben. Hier ist eine gesetzliche Regelung zum Ausbau der Kapazitäten und zur Klärung der Finanzierung und vorab der sozialrechtlichen Zuständigkeiten dringend erforderlich – unter Berücksichtigung jugendspezifischer Anforderungen, d.h. von Bildung, Pädagogik mit Entwicklungsanreizen aber auch notwendiger Begrenzung und Aufsicht.

Mit der Vorbereitung des Gesetzes hat die Bundesregierung gesteigerte Präventionsmaßnahmen versprochen. Allerdings gehen die derzeitigen Maßnahmen nicht über Aufklärungsmaterialien heraus, die bekanntlich wenig Wirkung in Hinsicht auf eine Reduzierung oder sogar Verhinderung des Einstiegs in Konsum zeigen. Die klassische Verhältnis-Prävention (d.h. eine Erschwernis des Zugangs) wird mit der Legalisierung faktisch aufgegeben. Eine Verhaltens-Prävention ist allein durch Aufklärung nicht zu erreichen. Sie sollte der gesamtgesellschaftlichen Verharmlosung des Cannabiskonsums durch die künftige Allgegenwärtigkeit des Cannabis hochwirksame Strategien entgegensetzen können, besonders für die Gruppen der hochgradig Gefährdeten: Schulabbrecher, psychisch labile Jugendliche, Jugendliche in familiären oder sozialen Konfliktsituationen. Solche Strategien, auch selektive oder indizierte Prävention genannt, sind vorhanden und müssten vor dem Hintergrund der Legalisierung neu evaluiert werden. Das alles würde jedoch einen zusätzlichen Personal- und Mitteleinsatz erfordern, der mit den eingestellten Mitteln im Etat des BMG nicht realisierbar ist. Jugendschutz im eigentlichen Sinne würde aber genau diese weiteren Schritte erfordern.

Daraus leiten wir folgende konkrete Forderungen ab:

  • Eine Bedarfsanpassung der Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche mit substanzbezogenen Störungen in Deutschland muss erfolgen; die Versorgung ist gesetzlich verpflichtend zu machen, mit ressourcensparenden
    • effektiven ambulanten Vorbereitungen von stationärer Behandlung und nahtlosen prä- und poststationären Übergängen
    • ausreichenden suchtspezifischen Nachsorgeangeboten für Jugendliche mit schwer beeinträchtigter psychosozialer Entwicklung
  • Medizinische Rehabilitation für suchtkranke Jugendliche
    • muss für Minderjährige ausgebaut werden; sie darf nicht in Konkurrenz zur qualifizierten Entzugsbehandlung bzw. der Akutbehandlung der Grundstörung stehen
    • sollte sich an Qualitätsstandards z.B. der Jugendhilfe orientieren
    • benötigt eine eindeutige Regelung der Kostenzuständigkeit
    • ist ausdrücklich nicht empfehlenswert in Suchthilfeeinrichtungen für Erwachsene durchzuführen.
  • Prävention von Suchterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
    • muss über Aufklärung hinausgehend wirksame und evaluierte Strategien umfassen
    • muss sich insbesondere an gefährdete Zielgruppen richten
    • braucht jetzt einen maximalen, auch finanziellen Anschub

Berlin/Mainz/Schleswig, 07.03.2024

Gemeinsames Schreiben von Ärzteschaft, Apothekerschaft, Wissenschaft, Lehrerschaft und Polizei an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Der Deutsche Bundestag wird voraussichtlich zu Beginn des neuen Jahres über ein Gesetz zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland abstimmen. Dabei geht es um eine grundlegende Weichenstellung, die gravierende gesellschaftliche Auswirkungen entfalten wird, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungs- und Lebensperspektiven junger Menschen in unserem Land.

Ein breiter Zusammenschluss zahlreicher Organisationen aus Ärzteschaft, Apothekerschaft, Wissenschaft, Lehrerschaft und Polizei appelliert dringend an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sich noch einmal mit den in einem gemeinsamen Schreiben der Organisationen dargelegten Kritikpunkten an dem Gesetzesvorhaben zu befassen und dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.

Das Schreiben an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages finden Sie unten stehend.

Gemeinsames Schreiben von DGKJP, BAG KJPP und BKJPP zum Medikamentenmangel Fluoxetin, welches an den Bundesgesundheitsminister, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, den Medizinischen Dienst und den GKV Spitzenverband ging.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Professor Lauterbach,

die Versorgung mit Arzneimitteln von Kindern und Jugendlichen war mehrfach Thema in der Vergangenheit. Nunmehr betrifft dies auch eine der schwächsten und vulnerabelsten Patientengruppen, Kinder mit schweren psychischen Erkrankungen.
Aus vielen Bundesländern wird gemeldet, dass Fluoxetin, das einzige für die Behandlung von mittelgradigen bis schweren depressiven Störungen zugelassene SSRI für Minderjährige, nicht mehr verfügbar ist, weder für ambulante Patient:innen, noch in Krankenhausapotheken.

Ganz abgesehen davon, dass es inakzeptabel ist, wenn ein derartiges Standardmedikament, das seit Jahren off-patent ist, nicht verfügbar ist, so ergeben sich dennoch Möglichkeiten, wie reagiert werden könnte. Dazu müsste jedoch seitens des BMG und ggf. auch der Selbstverwaltung gehandelt werden.:

Niedergelassene Kolleg:innen trauen sich aus Sorge vor Regressen, die neben den sachlich völlig unangemessenen finanziellen Risiken vor allem einen aberwitzigen Schriftverkehr mit den dafür zuständigen Prüfinstanzen auslösen, nicht auf andere verfügbare, aber für die Altersgruppe nicht zugelassene SSRI umzustellen. Auch diese sind off-patent und von den Kosten vergleichbar mit Fluoxetin. In Westfalen–Lippe kam es tatsächlich bereits zu Regressen.

In der neuen S3-Leitlinie Depressive Störungen bei Minderjährigen, die demnächst veröffentlich wird, werden entsprechend der neuesten Evidenz für die Behandlung auch Sertralin, Escitalopram und Duloxetin empfohlen – wie auch in der NICE-Guideline. Es bestehen also Möglichkeiten, doch sind diese mit Regressen bedroht.

Wir appellieren dringend an Sie, eine Entscheidung herbeizuführen, damit psychisch kranke Kinder nicht unnötigen medikamentösen Umstellungen oder gar Wechseln des Behandlungssettings von ambulant in die Kliniken ausgesetzt werden wegen unsinniger und ökonomisch völlig irrelevanter Regressforderungen, sowie, dass die Versorgungssicherheit schnellstmöglich wieder gesichert wird.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung


Mit freundlichen Grüßen

Für die DGKJP

Prof. M. Romanos

Für die BAG KJPP

Dr. M. Klein

Für den BKJPP

Dr. G. Berg

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) und derDeutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN)

zum Bundesprogramm „Mental Health Coaches“

Bundesjugendministerin Paus hat angekündigt, die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen an Schulen durch Einführung eines Modellprogramms bundesweit zu fördern. „Mental Health Coaches“ werden an 100 Schulen in allen Bundesländern Gruppen-Präventionsprogramme anbieten, „um das Wissen der Schülerinnen und Schüler über mentale Gesundheit zu erweitern und ihre Resilienz zu stärken“.

Die DGKJP und DGPPN nehmen sehr erfreut zu Kenntnis, dass sich in der breiten Öffentlichkeit und in der Politik die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die psychische Gesundheit von jungen Menschen in Deutschland nachhaltig gefährdet ist und dass neben effektiven Therapieangeboten für manifeste Erkrankungen auch frühe Prävention breit in schulischen Strukturen verankert werden muss. Hierbei muss Prävention in den kommenden Jahren deutlich intensiviert und qualitativ hochwertig ausgebaut werden. Insofern ist das Ziel der Initiative „Mental Health Coaches“ grundsätzlich zu begrüßen und das Modellprogramm setzt an der richtigen Stelle an.

Trotz der zu unterstützenden Grundidee greift das Modellprogramm zu kurz und es ist in der gegenwärtigen Konzeption kaum geeignet, die enormen Zukunftsaufgaben zu bewältigen.
Zum einen gibt es in Deutschland über 30.000 weiterführende Schulen, so dass mit der Implementierung von Coaches an etwas mehr als 100 Schulen die erforderliche Flächenwirkung präventiver Maßnahmen keinesfalls gelingen kann. Auch benötigen „Brennpunktschulen“ sicher mehr als nur „Mental Health Coaches“ zur Resilienzförderung. Das Zusammenwirken der „Mental Health Coaches“ mit bereits existierenden innerschulischen Diensten und Disziplinen, wie Schulpsycholog:innen, Schulsozialarbeiter:innen und Jugendsozialarbeiter:innen, wird deklariert, bleibt aber inhaltlich unklar. Zusätzlich ist zu fragen, wie eine Nachhaltigkeit und die Dissemination über die 100 Schulen hinaus gesichert werden soll.
Als wissenschaftliche Fachgesellschaften fordern wir zudem, dass solche Programme auch in ihren Wirkungen evaluiert werden. Nur wenige Präventionsprogramme halten einer kritischen und nach wissenschaftlichen Kriterien ausgerichteten Evaluierung stand, womit der großen Mehrheit der in Anwendung befindlichen Programme die Evidenzbasierung fehlt. Diese ist jedoch zwingende Voraussetzung für effektive Prävention, zumal angesichts limitierter Ressourcen und ökonomischer Zwänge nur die wirksamsten Programme gefördert werden können und sollen. Oft vergessen wird, dass auch Prävention Nebenwirkungen haben kann, so dass durch eine Evaluation gesichert werden muss, dass die Programme nicht stigmatisieren oder gar psychische Störungen befördern und auslösen, anstelle sie zu verhindern. Schließlich kann nur die Evidenzbasierung von Prävention flächendeckend Qualitätsstandards schaffen und den existierenden Fleckenteppich regionaler Maßnahmen eindämmen.

Das Programm des BMFSFJ zeigt auch eine weitere Schwachstelle auf, die in Deutschland bezüglich Ansätzen zur Resilienzförderung in Schulen besteht. Die föderale Struktur verhindert hier regelhaft, dass evaluierte Maßnahmen bundesweit in Schulen verfügbar sind. Auf die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit und Orientierung von Angeboten auf die Orte, an denen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ihre meiste Zeit verbringen, wurde von vielen Expert:innen, auch von uns, mehrfach hingewiesen. Herzu ist es auch nötig, dass systemübergreifend gedacht und vor allem gehandelt wird. Wir verweisen hierzu auch auf die Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums zur psychischen Gesundheit und der Denkwerkstatt Jugendgerechte Gesundheitspolitik.
Wir sehen es für die Zukunft als unerlässlich an, dass über einzelne Programme hinaus, eine strukturelle Veränderung hinsichtlich der Prävention erfolgt: in Anbetracht des Fachkräftemangels sollten interdisziplinäre Qualifikationsmaßnahmen aller mit Jugendlichen arbeitenden Fachkräfte zur Psychischen Gesundheit erfolgen, damit Kenntnis der Hilfesysteme entsteht und eine Vermittlung in Hilfestrukturen leichter gelingt, und es bedarf niedrigschwelliger evidenzbasierter Angebote für Kinder und Jugendliche.
Ohne eine grundsätzliche Änderung im Bereich Schule bundesweit wird sich für Kinder und Jugendliche durch Einzelprogramme und –projekte nichts ändern. So sehr die föderale Struktur ein hohes Gut ist, so sehr führt sie im Bereich der Schule, und damit einem der wichtigsten Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen, zu ungleichen Chancen. Die divergenten Schulformen, Systeme und Hilfsstrukturen in den jeweiligen Bundesländern führen auch zu erheblichen Bildungshürden und Benachteiligungen für mobile Kinder und Familien in Deutschland. Eine Harmonisierung der Strukturen muss dann auch eine engere Kooperation und Abstimmung in der Umsetzung von evidenzbasierten Präventionsprogrammen implizieren.

Daher ist anlässlich der Initiative des BMFSFJ von den Ländern zu fordern:

  • Eine konstruktive Nutzung der kultusministeriellen Länderhoheit zur Harmonisierung der Schulsysteme und Selbstverpflichtung zur systematischen nationalen Konvergenz anstelle weitergehender Differenzierung.
  • Die flächendeckende Sicherstellung der Verfügbarkeit der existierenden Hilfesysteme, insbesondere der Ausbau und Qualifizierung der schulpsychologischen Dienste und der Schulsozialarbeit.

Von den Bundes- und Landesministerien, den Krankenkassen sowie Fördereinrichtungen ist zu fordern:

  • Die Aufsetzung von langfristigen Förderlinien zur Generierung und Evaluierung qualitativ hochwertiger Prävention zu Verbesserung der psychischen Gesundheit und Resilienzförderung junger Menschen in Deutschland und Finanzierung der Disseminierung von evidenzbasierten Präventionsprogrammen

Berlin, 27. September 2023

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Entwurf eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG)“
 
Sehr geehrte Frau Ministerialrätin Brandenburg,
 
hiermit erhalten Sie die Stellungnahme zum o.g. Gesetz aus Sicht der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. 
 
Grundsätzlich besitzen digitale Gesundheitsanwendungen mit ihren Möglichkeiten aber auch Herausforderungen eine hohe Relevanz für die Weiterentwicklung von Prävention, Diagnostik und Behandlung von psychischen Erkrankungen. Da Kinder und Jugendliche sowohl im Vergleich der Altersgruppen digital besonders affin als auch kompetent im Umgang sind, messen wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft dem Entwurf hohe Bedeutung bei. 
 
Die weitere Stärkung der Digitalisierung des Gesundheitswesens bietet das Potential, Versorgungsdefizite bei psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen zu verbessern, sowohl im niederschwelligen Zugang zu qualifizierten Angeboten per Telemedizinischer Angebote, als auch hinsichtlich der Förderung eigener krankheitsbezogener Kompetenzen durch beispielsweise Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa).
 
Das Gesetz adressiert unter anderem auch wesentliche kritische Bereiche in der Digitalisierung von Gesundheitsversorgung. Dazu zählt zuvorderst die Sicherung der Qualität der Angebote. Dies umfasst zwingend die Darlegung von Effektivität als auch potentiellen unerwünschten Wirkungen bei DiGa, da nur so eine ausreichende Risikoeinschätzung in der Verordnung und Anwendung erfolgen kann. Des Weiteren ist die Gewährleistung der Datensicherheit ein übergreifendes Thema, welches bundeseinheitlich definierter und laufend aktualisierter Sicherheitsstandards bedarf. Ebenso ist die Schnittstellenthematik für den sektorübergreifenden Datenaustausch zwingend bundeseinheitlich durch eine definierte und beauftragte Institution zu kuratieren. 
 
Im Folgenden gehen wir im Einzelnen auf die im Gesetz adressierten Maßnahmen ein:
 
Weiterentwicklung der ePa
Die im Gesetz vorgesehene Weiterentwicklung der ePA wird begrüßt, insbesondere die Entwicklung und Etablierung einer ePKA ist für den Versorgungsalltag als ein sinnvoller und wirksamer Baustein in der sektorenübergreifenden Versorgung einzuschätzen. Nach wie vor haben wir aber keine Antwort darauf erhalten ob die Sorgeberechtigten oder die jugendlichen Patient:innen selbst über die Inhalte und die Freigabe der Daten in der ePKA verfügen dürfen. 
 
Weiterentwicklung des E-Rezepts
Die Weiterentwicklung von E-Rezepten ist ebenfalls als eine Erleichterung im Versorgungsalltag zu begrüßen. Aus dem vorliegenden Gesetzesentwurf geht nicht hervor, ob die neue Ausarbeitung des E-Rezeptes auch eine Lösung zur Verordnung von Betäubungsmitteln berücksichtigt. Signifikante Verordnungszahlen von Betäubungsmitteln betreffen im Bereich der psychischen Erkrankungen in erheblichem Umfang von ADHS betroffene Patient:innen. Sofern auch an eine Verordnung von Betäubungsmitteln mittels E-Rezept gedacht ist, würde dieses besonderer Absicherungen bedürfen. Hierzu bedürfte es eigener, fachlich fundierter Beratungen.
 
Weiterer Ausbau der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa) 
Vor dem Hintergrund, dass die Wirksamkeit der aktuell verfügbaren DiGa für den Bereich der seelischen Gesundheit nach wie vor nur in wenigen Fällen erwiesen ist, betrachten wir die Einführung qualitätsbezogener Faktoren als längst überfällig. 
Wir verweisen diesbezüglich auf unsere ausführliche Stellungnahme vom Februar 2020, in der wir klar ein Vorgehen analog der Zulassung von Pharmaka gefordert haben, um unwirksame DiGa nicht in die Anwendung zu bringen, zum einen um möglichen Schaden von den Patient:innen abzuwenden ebenso wie das Gebot der Wirtschaftlichkeit  zu erfüllen.
Auch die Betrachtung von potentiellen unerwünschten Wirkungen durch DiGa sehen wir in dem aktuellen Gesetzentwurf ungenügend abgebildet. 
Aktuell ist ein iterativer Prozess der Qualitätsentwicklung in der laufenden Anwendung vorgesehen. Wir halten dies angesichts der potentiellen gesundheitlichen Folgen für die Anwender:innen für nicht vertretbar und fordern die Erbringung von Wirksamkeitsstudien (einschließlich der Erfassung unerwünschter Wirkungen) durch die Anbieter. Dabei sind die qualitativen Mindeststandards analog der Zulassungsverfahren von Pharmaka zu erfüllen.  
 
Weiterentwicklung von Videosprechstunden und Telekonsilen
Die Weiterentwicklung von Videosprechstunden und Telekonsilen als ein fester Bestandteil in der Versorgung ist ein wichtiger Baustein unseres Gesundheitssystems. Dies ist insbesondere für Menschen mit erschwertem Zugang zu Versorgungsstrukturen eine notwendige Maßnahme, um Versorgungsgerechtigkeit herzustellen. Hier sind unter anderem Menschen zu nennen, die ohne Telemedizinische Angebote auf die Dienste Dritter angewiesen sind, wie ältere Menschen oder auch Kinder und Jugendliche in ländlichen Regionen. Insbesondere in der sprechenden Medizin besteht auch eine wissenschaftlich klare Datenlage für die grundsätzliche Wirksamkeit von Telemedizinischer Versorgung. Die im Entwurf vorgesehene breitere Anwendungsmöglichkeit telemedizinischer Angebote ist daher klar zu begrüßen. Allerdings erscheint die Festlegung auf maximal 30 Prozent nicht der bestehenden Datenlage angemessen und baut Versorgungsbarrieren in der Erreichbarkeit nicht ausreichend ab. 
Wir regen daher auch vor dem Hintergrund der aktuellen erheblichen Bedarfslage in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung an, die Beschränkung der maximalen Anwendung von telemedizinischer Versorgung auf 80 Prozent zu erhöhen und dadurch festzulegen dass patientenbezogen jeder 5. Kontakt in einem face-to-face Termin stattfindet. 
 
An dieser Stelle möchten wir explizit darauf hinweisen, dass in den Ausbau der telemedizinischen Versorgung explizit die Krankenhäuser und die psychiatrischen Institutsambulanzen einbezogen werden müssen, da ihre Versorgungsrelevanz auch in der ambulanten Versorgung stetig anwächst. Auch regionale und überregionale Spezialexpertisen von Krankenhäusern können so Patient:innen leichter zugängig gemacht werden. 
 
Analog sollten zur Nutzung von Fachexpertise dringend Telekonsilien auch zwischen Krankenhäusern und sektorenübergreifend zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Vertragsärzten und -psychotherapeuten ermöglicht und mit einer kostendeckenden Vergütung versehen werden. Daraus würde auch eine Bereicherung stationärer und teilstationärer Behandlungen erwachsen.
 
Wir begrüßen ausdrücklich die geplante Qualitätsorientierung sowohl bei Videosprechstunden als auch bei Telekonsilien. Dabei bleibt jedoch das Vorgehen zur Erstellung von validiertem Vorgehen und Behandlungspfaden unklar. Die Formulierung der Übertragung von Implementierung und Überwachung dieser Qualitätskriterien auf die „Institutionen der Selbstverwaltung“ ist ungenau Wir regen daher dringend an, eine konkrete bundesländerübergreifende Institution mit der Erstellung dieser Qualitätsmerkmale zu beauftragen.
 
Digitale Weiterentwicklung von strukturierten Behandlungsprogrammen
Die im Gesetz vorgesehene Augmentierung durch digitale Behandlungselemente der strukturierten Diabetes-mellitus-Behandlung als erster use-case ist zu begrüßen.
 
Verbesserung der Interoperabilität
Die Verbesserung der Interoperabilität ist ein Kernelement in der Erschließung digitaler Techniken in der Gesundheitsversorgung. Eine durch den Gesetzgeber stringentere Vorgabe ist daher ausdrücklich zu begrüßen.
 
Erhöhung der Cybersicherheit
Die Verbesserung der Cybersicherheit durch Erhöhung der Datenkompetenz von Nutzer:innen ist ein wichtiger Ansatz. Dabei sollten in der Umsetzung die unterschiedlichen Bedarfe in der Erreichbarkeit klar adressiert werden. Die zu vermittelnden Inhalte müssen für Jugendliche anders aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden als beispielsweise für Senioren. Menschen mit speziellen Einschränkungen sind hier ebenso einzubeziehen, da ansonsten eklatante Unterschiede und Ungerechtigkeiten in der Datenmächtigkeit der Nutzer:innen entstehen. Wir regen daher dringend an, diese differenzierte Sicht auf die zu entstehenden Angebote im Gesetzestext zu verankern.
 
Neben dem aktuellen Gesetzesvorhaben melden wir aus zahlreichen Gesprächen mit Ärzt:innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen zurück, dass hinsichtlich der Sicherheit der Daten eine enorme Verunsicherung besteht und daher Weiterentwicklungen digitaler Gesundheitstechnologien aktuell häufig nicht in die Anwendung kommen. Die Erstellung einer zentralen Datenverarbeitungslösung, die auf Bundesebene einheitlich zur Verfügung gestellt wird, würde die Sicherheit bei den professionellen Nutzer:innen erheblich erhöhen und ein erhebliches Hemmnis in der Entwicklung der digitalen Gesundheitsversorgung abbauen. 
 
Verstetigung und Weiterentwicklung des Innovationsfonds
Die Verstetigung des Innovationsfonds wird ausdrücklich begrüßt. Insbesondere die vorgesehene Flexibilisierung der Förderformate und Nutzung einstufiger Verfahren lässt erwarten, dass innovative Versorgungsansätze agiler umgesetzt werden können und sich als wirksam erweisende Projekte leichter in Eingang in die Versorgung finden.
 
Wir halten das Gesetzesvorhaben für einen wichtigen weiteren Schritt im Prozess der notwendigen Digitalisierung des Gesundheitswesens und freuen uns, wenn wir als DGKJP einen Beitrag zur gelingenden Gesetzesfassung beitragen können. 
 
Für weitere Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
 
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Prof. Dr. M. Romanos
Präsident
 
Prof. Dr. T. Renner
stellv. Präsident
 
Prof. Dr. R. Schepker
Vorstandsmitglied

Gemeinsame Stellungnahme
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP),
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ),
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG KJPP),
des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP) und
des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
zum
„Entwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG)“

Wir lehnen den Referentenentwurf eines „Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG)“ entschieden ab. Aus Sicht von DGKJP, DGKJ, BAG KJPP, BKJPP und BVKJ führen die Legalisierungspläne der Bundesregierung zu einer Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen junger Menschen in Deutschland. Der aktuelle internationale Forschungsstand weist darauf hin, dass eine Legalisierung gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erhöhtem Konsum und den damit verbundenen Gesundheitsschäden sowie zu einer verminderten Risikowahrnehmung gegenüber den Gefahren des Konsums beiträgt. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) der Vereinten Nationen hat in Kenntnis der Studienlage jüngst dringend von weiteren Legalisierungsbestrebungen abgeraten. Die Kriminalität wird mit der Legalisierung nicht eingeschränkt. Positive Effekte für den Jugendschutz sind mit den Legalisierungsplänen nicht zu erwarten, da Kinder und Jugendliche vor einem deutlich erweiterten Markt und den damit verbundenen konsumpermissiven Einstellungen nicht wirksam geschützt werden können. Die ursprünglich im Koalitionsvertrag im Jahr 2021 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vereinbarten Ziele, mit der „kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ die Qualität der Produkte zu verbessern, die Weitergabe verunreinigter Produkte zu verhindern und den Jugendschutz zu gewährleisten, werden mit den im Referentenentwurf genannten Plänen nicht erreicht.

Zum Gesetzesentwurf
Mit dem Gesetz soll ein verbesserter Kinder-, Jugend- und Gesundheitsschutz erzielt, die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention gestärkt und der illegale Markt für Cannabis eingedämmt werden. Die Qualität von Cannabis soll kontrolliert und die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert werden. Dadurch sollen Konsumierende besser geschützt werden (§ 1 Ziele).

Mit dem Cannabisgesetz ist vorgesehen, Cannabis-Anbau in Vereinen, denen bis zu 500 Mitglieder angehören, zu gestatten. Weiterhin soll privater Eigenanbau von drei blühenden Pflanzen zugelassen werden. Vorgesehen ist die Abgabe von jeweils bis zu 25 g Cannabis an erwachsene Mitglieder, beschränkt auf maximal 50 g pro Monat, sowie zusätzlich bis zu 7 Samen oder 5 Stecklinge pro Monat. Für Heranwachsende unter 21 Jahren soll die monatliche Abgabe auf 30 g beschränkt werden sowie auf Produkte mit einem THC-Gehalt von nicht höher als 10 Prozent. Straffreier Besitz zum Eigengebrauch (Mitführen in der Öffentlichkeit) ist bis zu 25 g gestattet. Es gelten weiterhin Strafvorschriften für darüber hinaus gehenden Handel und Abgabe an Nicht-Mitglieder sowie die Weitergabe an Kinder und Jugendliche, bzw. von nicht in Vereinen angebautem Cannabis. Zurückliegende Verurteilungen, die sich ausschließlich auf Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis beziehen und für die künftig keine Strafe mehr vorgesehen ist, sollen auf Antrag aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren zu diesen Handlungen werden mit Gültigkeit des Gesetzes eingestellt.

Im Gesetzentwurf werden Maßnahmen zum Jugendschutz deklariert. Kindern und Jugendlichen soll auch weiterhin verboten bleiben, Cannabis anzubauen, zu kaufen, zu besitzen und zu konsumieren. Bei Verstoß des Verbots sollen fortan keine strafrechtlichen Sanktionen mehr erfolgen, sondern stattdessen sollen Jugendliche, die gegen dieses Verbot verstoßen, durch Polizei und Ordnungsbehörden an das zuständige Jugendamt vermittelt werden. Anstelle einer strafrechtlichen Verfolgung sollen Jugendliche verpflichtet werden, an geeigneten Frühinterventionsprogrammen teilzunehmen (S. 89, B, zu Kap. 2, § 7).

Jede Anbauvereinigung müsse der lizenzgebenden Stelle ein geeignetes Gesundheits- und Jugendschutzkonzept vorlegen (§ 20, § 23). Der Zugang zu Anbauvereinigungen und Abgabestellen soll Kindern und Jugendlichen durch Alterskontrollen verwehrt werden.

Cannabiskonsum soll an Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche regelmäßig aufhalten, verboten sein. Es sollen sogenannte „Schutzzonen“ in einem Umkreis von 200 m eingerichtet werden, beispielsweise im Eingangsbereich von Kinder- und Jugendeinrichtungen, Schulen, öffentlichen Kinderspielplätzen und Sportstätten. Je nach den örtlichen Gegebenheiten sollen auch sonstige öffentliche Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche regelmäßig aufhalten vom Konsumverbot erfasst werden. Die Abstandsregelungen sollen verhältnismäßig sein und von Polizei und Ordnungsbehörden praktikabel geregelt werden können (S. 88f, B, zu Kap. 2, § 5, Abs. 2).

Der Zugriff durch Kinder und Jugendliche auf (geerntetes) Cannabis von Cannabispflanzen im Eigenanbau soll durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen verhindert werden, etwa durch Sicherung von Grow-Boxen, mechanische oder elektronische Verriegelungsvorrichtungen, Verwahrung in kindersicheren Behältnissen, Räumen oder Schränken. Bei Verstößen durch Sorgeberechtigte gegen das Verbot der Weitergabe von Cannabis an Kinder und Jugendliche sollen familiengerichtliche Maßnahmen eingeleitet und Verstöße außerdem als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden können (S. 92, B, zu Kap. 2, § 10, Abs. 1).

Im Gesetzentwurf wird die Stärkung von Prävention angekündigt. Präventionsangebote für Jugendliche und junge Erwachsene sollen deutlich ausgeweitet werden. Dabei sollen die Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Schulen, Berufsschulen, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Sportvereinen, der Arbeitswelt sowie in Einrichtungen, die mit kognitiv eingeschränkten Personen arbeiten, Berücksichtigung finden. Die Finanzierung dieser Maßnahmen könne über die gesetzlichen Krankenversicherungen gem. § 20a, SGB V, erfolgen (S. 91, B, zu Kap. 2, § 8, Abs. 1).

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) soll evidenzbasierte und qualitätsgesicherte Materialien, Leitfäden oder Handreichungen bereitstellen. Über solches Aufklärungsmaterial hinaus sollen cannabisbezogene Präventionsmaßnahmen der BZgA unter Berücksichtigung einer zielgruppenspezifischen Ausrichtung (konsumunerfahrene Personen, Vielkonsumierende, Erziehungsberechtigte, Schwangere, Verkehrsteilnehmende, Ältere) ergänzt und ausgeweitet werden. Durch früh ansetzende Präventionsprogramme könnten Kindern Kompetenzen vermittelt werden, „die Ihnen später einen verantwortungsvollen Umgang mit Suchtmitteln ermöglichen“. Das Angebot an entsprechenden frühen Präventionsmaßnahmen soll ausgebaut werden (S. 90, B, zu Kap. 2, § 8, Abs. 1).

Im Gesetzentwurf in der Fassung vom 28.04.2023 wurde die Stärkung von Präventions- und Suchtforschung angesprochen. Es gebe erheblichen Forschungsbedarf im Bereich der cannabisbezogenen Präventions- und Suchtforschung. Dafür stelle das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) entsprechende Mittel zur Verfügung (§ 7, Abs. 2). In der jetzt vorliegenden Fassung vom 05.07.2023 fehlt dieser Hinweis. Es wird nun angemerkt, das BMBF solle prüfen, „inwieweit Daten, die im Rahmen der Evaluation erhoben werden der wissenschaftlichen Gemeinschaft für über die Evaluation hinausgehende Auswertungen und Forschungen zentral zur Verfügung gestellt werden können.“ (S. 80, VII, Befristung; Evaluierung).

Stellungnahme
In einer Stellungnahme des International Narcotics Control Board (INCB) der Vereinten Nationen vom 9. März 2023 wird mit Blick auf die stark variierenden Ausgestaltungen der Legalisierungsansätze in verschiedenen Staaten festgestellt, dass die staatlichen Ziele der Legalisierung nicht erreicht werden würden. Die erhöhte Erreichbarkeit von Cannabis gehe mit der Abnahme der Wahrnehmung von Risiken einher. Die Legalisierung von nichtmedizinischem Cannabis führe zu erhöhtem Konsum sowie vermehrten Gesundheitsschäden. In Legalisierungsstaaten werde ein Anstieg der Notfallbehandlungen und Verkehrsunfälle verzeichnet. Die Kriminalität werde nicht einschränkt.

Die Kinder- und Jugendpsychiater:innen und -psychotherapeut:innen und die Kinder- und Jugendärzt:innen in Deutschland haben in einem gemeinsamen Statement der Fachgesellschaften und Verbände vor den möglichen Risiken einer Cannabislegalisierung gewarnt und appelliert, etwaige Legalisierungsbeschränkungen nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen (www.dgkjp.de/Cannabislegalisierung/). Alle Vorsätze, die Legalisierung mit einem bestmöglichen Jugendschutz zu verbinden, hätten sich in vielen Legalisierungsländern als Illusion erwiesen. Bereits die gesellschaftliche Debatte um eine Abgaberegulierung von Cannabisprodukten habe ungünstige Effekte auf das Konsumverhalten junger Menschen. Suchtprävention habe in der Vergangenheit erwünschte Effekte gezeigt, wenn sie auf eine strikte Angebotsreduzierung zielt. Den Markt suchterzeugender Substanzen zu erweitern und auf eine schadenbegrenzende Beeinflussung von Gefährdeten und Konsumierenden durch Verhaltensprävention zu setzen, habe sich demgegenüber als kaum wirksam herausgestellt.
Allenfalls die verpflichtende Teilnahme an Frühinterventionsprogrammen anstelle einer strafrechtlichen Verfolgung von Kindern und Jugendliche, die nach diesem Gesetzentwurf auch weiterhin kein Cannabis besitzen und konsumieren dürfen, ist aus unserer Sicht ein richtungsweisender Ansatz.

Die Forderungen der Suchtfachgesellschaften (DG-Sucht, DGS, dgsps) und der DHS (vgl. „Positionspapier zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“DG-Sucht, DGS, dgsps, & DHS, 2022) werden mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung überwiegend nicht berücksichtigt: (a) Priorisierung und Ausbau der Jugendschutzes sowie Maßnahmen der strukturellen Prävention durch Begrenzung von Öffnungszeiten und Anzahl der Verkaufsstellen, legale Abgabe von Cannabis erst ab dem 21. Lebensjahr, Mengenbegrenzungen beim Verkauf sowie Begrenzung der THC-Gehalte in Produkten bei 15 Prozent, Verbot jeglicher Werbung, Produktanbau und Vertrieb allein durch staatliche Stellen, (b) konsequente Unterbindung illegalen Handels, (c) Verwendung der Steuereinnahmen für verbesserte und zusätzliche Maßnahmen in Prävention, Früherkennung, Frühintervention, Beratung, Begleitung und Behandlung, Versorgungs- und Therapieforschung im Bereich der cannabisbezogenen Störungen, (d) Erweiterung des bundesweiten Drogen- und Gesundheitsmonitorings sowie (e) Einrichtung einer ständigen Expert:innengruppe als Beratungsgremium der Bundesregierung.

Zusammenfassend kann festhalten werden, dass aus Sicht der Suchtprävention mit der Abgaberegulierung und der Markterweiterung für Cannabisprodukte zum nichtmedizinischen Gebrauch ein falsches Signal gesetzt wird. Die Änderungen in der Drogenpolitik tragen zur Verharmlosung der gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums bei. Die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung für die gesundheitsgefährdenden Effekte des Konsums nimmt ab. Da Entwicklungs- und Reifungsprozesse und insbesondere auch die Hirnreifung bis über die Mitte der dritten Lebensdekade hinausreichen, sind Abgaberegulierungen mit Altersbegrenzungen bei 21 oder gar 18 Jahren aus entwicklungs-(neuro-)biologischer Sicht nicht plausibel. Darüber hinaus zeigt sich in den USA und in Kanada, dass die mit der Legalisierung angestrebte Austrocknung des Schwarzmarktes nicht gelingt. Konsumierende beschaffen sich die Cannabisprodukte zu einem nicht geringen Anteil auch weiterhin über illegale Quellen. Insbesondere jüngere Konsumentengruppen nutzen die Schwarzmarktprodukte bevorzugt. Neben dem fortbestehenden Schwarzmarkt erweisen sich Probleme mit Zwischenhandel, Schmuggel und Betrug bisher als weitgehend unlösbar. So darf auch bezweifelt werden, ob die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Regulierungen für Anbauvereinigungen sowie die Vorschriften für den privaten Eigenanbau tatsächlich umgesetzt und deren Einhaltung von den regionalen Behörden angemessen kontrolliert werden können. Die dargestellten Maßnahmen zum Jugendschutz (Abstandsregelungen, privater Eigenanbau und Konsum in Haushalten) werden aller Voraussicht nach schwer kontrollierbar sein und durch die psychologischen Effekte eines allgegenwärtigen Cannabiskonsums (in Parks, Freizeiteinrichtungen, Fußgängerzonen ab 20 Uhr usw.) überstrahlt werden.

Kommentar zu einzelnen Ausführungen
Es wird im Gesetzentwurf dargelegt, dass mit der Begrenzung der Abgabemengen auf 25 g Cannabis pro Tag bzw. 50 g pro Monat die Suchtrisiken der Mitglieder verringert werden würden. Die Begrenzung des THC-Gehaltes auf 10 Prozent für die unter 21-Jährigen sowie die damit verbundenen Alterskontrollen und Produktdeklarationen seien „ein deutliches Signal an Heranwachsende, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis für sie besonders wichtig ist“ (S. 110, B, zu Abschn. 3, § 19, Abs. 3).

Hierzu ist festzustellen, dass Cannabisabhängige im Jugend- und jungen Erwachsenenalter in der Regel zwischen 1 g und 2 g Cannabis pro Tag konsumieren und die vorgesehene Abgabemenge den üblichen Bedarf von behandlungsbedürftigen Abhängigen deckt. Dass Suchtrisiken mit der Mengenbegrenzung verringert werden würden, ist nicht plausibel.

Es wird dargelegt, dass bei Kindern und Jugendlichen die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen sei. Daher seien Jugendliche, die Cannabis konsumieren, von besonderen gesundheitlichen Risiken bedroht. Es könnten „bleibende Einschränkungen der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung resultieren“ sowie „ein erhöhtes Risiko, eine Cannabisgebrauchsstörung zu entwickeln“ (S. 110, B, zu Abschn. 3, § 19, Abs. 3).

Hierzu ist festzustellen, dass die gesundheitlichen Risiken deutlich über die Einschränkungen der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung hinausgehen. Experimentelle Studien weisen auf Störungen der Myelinisierung infolge epigenetischer Effekte der Cannabinoide hin. Die klinische Forschung belegt ungünstige Einflüsse intensiven Cannabiskonsums auf Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen, Aufmerksamkeit, Problemlösen, Denkleistung und Intelligenz. Diese Effekte sind in Kongruenz mit dem Nachweis altersabhängiger struktureller und funktioneller Veränderungen im Bereich der grauen und weißen Hirnsubstanz bei Cannabiskonsumierenden in der Adoleszenz zu bewerten. Bei vulnerablen Personen besteht darüber hinaus ein dosisabhängiger Zusammenhang mit depressiven Störungen, Suizidalität, bipolaren Störungen, Angsterkrankungen sowie zusätzlichem Missbrauch von Alkohol und anderen illegalen Drogen. Cannabiskonsum kann bei vulnerablen Personen Psychosen auslösen und den Verlauf schizophrener Psychosen deutlich verschlechtern. Intensiv Cannabiskonsumierende brechen häufiger die Schule ab und weisen ungünstigere Bildungsabschlüsse als Nichtkonsumierende auf.

In § 8 wird die Notwendigkeit einer Stärkung von Prävention zu Recht angekündigt, es bedarf jedoch an dieser Stelle dringend weiterer Konkretisierung. Um wirklich wirksamen präventiven Jugendschutz gegen chronischen Cannabiskonsum zu bewirken, bedarf es insbesondere früher Präventionsangebote. Unter anderem einer fortlaufenden Intervention bei den unter 12 – jährigen Kindern in speziell durch Suchtkrankheit belasteten Familien. Denn deren Risiko liegt zehnfach höher, mit frühem Eintrittsalter (vor dem 14. Lebensjahr) dauerhaft in gefährliche Konsummuster zu geraten. 1 Dies betrifft in Deutschland ca. 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche.

Daneben sollte die aufsuchende Aufklärungsarbeit insbesondere in den Schulen und Lebensbereichen der Jugendlichen (Peer-Education), aber auch über soziale Medien/ Influencer verbessert werden. Dabei sollte der Focus auf der Stärkung der Resilienz von Jugendlichen liegen.

Auch ist die Finanzierung wirksamer Frühinterventionen auf eine verlässliche finanzielle Basis zu stellen. Bestehende Mittel müssen dringend aufgestockt werden. Der Hinweis auf Mittel der Krankenkassen zur Prävention in Lebenswelten (§ 20a SGB V) ist sachgerecht muss aber präzisiert werden. Es ist gleichzeitig bedauerlich, dass die formulierten Maßnahmen zur Prävention nicht substanzübergreifend mit dem bestehenden Jugendschutzgesetz gegen den Alkoholkonsum verknüpft wurden.

Der Anstieg des Cannabiskonsums in Kanada wie in den USA nach der Legalisierung ist u.a. auf die erhebliche Zunahme des Konsums essbarer THC – haltiger Produkte in der erwachsenen Bevölkerung zurückzuführen. Dass der Gesetzentwurf die Expertenhinweise auf die Gefahren sogenannter „edibles“ gerade in Haushalten mit Kleinkindern ernstnimmt und diese weiterhin verbietet, ist ausdrücklich zu begrüßen.

Dass eine verbindliche fortlaufende Begleitforschung insbesondere in Bezug auf die Auswirkungen auf den Konsum und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vorgesehen ist, ist zu begrüßen. Es sollten weiterhin klare Konsequenzen für notwendige Maßnahmen zum Gesundheitsschutz definiert werden, wenn die Evaluation nicht die von der Legalisierung erhofften Ergebnisse ausweist.
Im Gesetzentwurf werden die Angaben zur Abstandsregelung für sogenannte „Schutzzonen“ nicht einheitlich benannt. Teilweise werden 200 Meter „Luftlinie“ vorgeschrieben und an anderer Stelle 250 Meter.

Eine vermutlich nicht intendierte Formulierung findet sich auf Seite 82 (B, zu § 1, Nummer 7) des Gesetzentwurfes: „Auch dann handelt es sich um Nutzhanf, da sich das Cannabis lediglich zu industriellen bzw. gärtnerischen, jedoch nicht zu Suchtzwecken eignet“.

Berlin, 24.07.2023

1 Eine ab Geburt durchgeführte Langzeitstudie aus Großbritannien mit > 5000 Teilnehmenden bis zum 18. Lebensjahr hat dies nachdrücklich gezeigt (Lindsey A Hines et al., “Adverse childhood experiences and adolescent cannabis use trajectories: findings from a longitudinal UK birth cohort” in www.thelancet.com/public-health Vol 8 june 2023: e442-e452).

Psychische Belastungen nehmen zu, die Inanspruchnahme des Versorgungssystems steigt, die öffentliche Debatte um Behandlungsmöglichkeiten und ihre Verfügbarkeit läuft auf vollen Touren. Erwachsenenpsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie halten trotz des Fachkräftemangels
und schlechter Rahmenbedingungen eine qualitativ hochwertige Versorgung aufrecht. Durch drakonische Strafzahlungen, die die Krankenhäuser ab dem 1. Januar 2024 bei Unterschreiten einer willkürlich festgelegten Personalmindestausstattung leisten müssen, wird dies gefährdet. Neue Berechnungen zeigen jetzt: Nahezu alle Kliniken in allen Regionen des Landes werden von den Sanktionen betroffen sein. Damit droht eine enorme Verknappung der Versorgungskapazitäten für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die ambulant nicht aufgefangen werden kann.
Die unterzeichnenden Fach- und Betroffenenverbände fordern deshalb nachdrücklich die Streichung dieser Strafzahlungen und die Intensivierung strukturierter Reformbemühungen.

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des BMFSFJ und des BMJ zum „Gesetz [..] über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) hatte gemeinsam mit den beiden kinder- und jugendpsychiatrischen Fachverbänden bereits am 19. September 2022 das „Eckpunktepapier“ der Koalitionsparteien kommentiert. Basierend auf den damaligen Kommentaren finden Sie unsere Stellungnahme zu dem o.g. Gesetz wie folgt:

Zu § 1 Punkt 2 Absatz 2
Wir begrüßen ausdrücklich, dass unsere Position, keinen Automatismus bezüglich geschlechtsangleichender medizinischer Maßnahmen herzustellen, in der Präambel zum Referentenentwurf explizit aufgegriffen worden ist.
Zur Trennung des Personenstandseintrags von medizinischen Maßnahmen gehört auch, dass für den juristischen Schritt einer Änderung des Geschlechtseintrages keine medizinischen Dokumente mehr vorgelegt werden müssen. Durch die Möglichkeit der Personenstandsänderung bei unter 18-jährigen kann zunächst in einer sozialen Transition Rollensicherheit und -klarheit von Jugendlichen und ihrer sozialen Umgebung entwickelt und eine neue Identität erprobt werden. Zur Erhöhung der Sicherheit etwaiger medizinischer Behandlungsentscheidungen in diesem Feld sind möglichst ungehinderte und diskriminierungsfreie soziale Alltagserfahrungen Jugendlicher im gelebten Geschlecht, welches ihrer empfundenen Identität entspricht, wichtig.


Zu § 2 Punkt 2 Absatz 4
Wir begrüßen die Möglichkeit, auch nur den Vornamen neu zu bestimmen. Das entspricht besonders den Bedürfnissen der jüngeren Altersgruppe, eine möglicherweise überbrückende und einfache „kleine Lösung“ zu wählen, die sich auf eine Änderung des Vornamens beschränkt.

Zu § 3 Absatz 1
Das Familiengericht soll künftig die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters von über 14jährigen ersetzen können, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht. Wir hatten bereits in unserer Kommentierung vom 19.9.2022 erklärt: „Eine abstrakte Orientierung am Kindeswohl in komplizierten Fällen, die ggfs. das Recht des Kindes gegen die eigenen Eltern durchsetzt, wird der Entwicklung des Jugendlichen und einer Familie nicht helfen, wenn dies zum Verlust der familiären Bindungen führt.“
Daher begrüßen wir, dass auf Seite 26 (und Seite 37) der Gesetzesbegründung „der Zugang zu einer sachkundigen, ergebnisoffenen und kostenlosen Beratung ermöglicht wird“ und dass „die Bundesregierung beabsichtigt, die Beratungsangebote insbesondere für minderjährige Personen auszubauen und zu stärken.“ Jedoch vermissen wir in der Aufzählung der Gesetzesbegründung die professionelle kinder- und jugendpsychiatrische und –psychotherapeutische Beratung und Prozessbegleitung des gesamten Familiensystems. In aller Regel werden die betroffenen Kinder und Jugendlichen bereits Kontakt zu den existierenden interdisziplinären Zentren aufgenommen haben. Eine Entkoppelung der Beratung zum Personenstandseintrag bzw. Vornamensänderung und der Gesamtsituation des Kindes oder Jugendlichen halten wir nicht für zielführend – auch aus entwicklungspsychologischen Gründen und Kindeswohlaspekten. Gerade die familiäre Gesamtsituation ist in diesem Altersabschnitt, anders als bei Erwachsenen, für die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen immer zu beachten. Wir fänden es daher sinnvoll, hier die Beteiligung von und Beratung durch spezialisierte Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zu ergänzen.
Der Gesetzgeber möchte sich von bisherigen Zwangsberatungen laut Gesetzbegründung distanzieren. Im Fall, dass im Sinne des § 3 (1) der gesetzliche Vertreter dem Wunsch des Jugendlichen nicht zustimmt, fänden wir jedoch den einen Hinweis auf Beratungsangebote angemessen:

Wir schlagen daher folgenden Zusatz als Satz 3 vor: „Das Familiengericht hat im Falle des Satzes 2 auf die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten hinzuwirken.“


Zu § 3 Absatz 2
Vor dem 14. Lebensjahr soll im Sinne aller bisheriger Elternrechte und -pflichten nur der gesetzliche Vertreter eine entsprechende Erklärung abgeben können.
Bei Kindern vor Eintritt der Pubertät, der meist bis zum 14. Lebensjahr erfolgt ist, ist nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand aufgrund einer wesentlich größeren Bandbreite von Entwicklungsverläufen mit einer deutlich höheren Häufigkeit einer Nicht-Persistenz nonkonformer Geschlechtsidentitäten zu rechnen als bei Jugendlichen, die nach Eintritt der Pubertät über einen längeren Zeitraum anhaltend eine geschlechts-nonkonforme Identität empfinden. Zudem ist in dieser Altersgruppe eine im Alltag verlässlich erfahrbare Anerkennung ihrer empfundenen Geschlechtsidentität (Schule, Sport, Wartezimmer) zum Schutz vor erlebter Zurücksetzung und Diskriminierung weitestgehend hinreichend (z.B. werden noch keine Ausbildungsverträge geschlossen). Die Möglichkeit, nur den Vornamen zu ändern, könnte für diese Altersgruppe somit besonders sinnvoll sein.

Wir schlagen daher folgenden Zusatz zu § 3 (2) vor: „Auf die Bevorzugung eines Vorgehens entsprechend § 2 (4) für diese Altersgruppe ist seitens des Standesamtes hinzuweisen.“


Zu § 4 und § 5
Gerade junge Menschen können im Zuge ihrer Identitätsfindung ebenso zur inneren Erkenntnis gelangen, dass es am ehesten ihrer geschlechtlichen Identität entspricht, einen vollzogenen Rollenwechsel wieder zurückzunehmen. Daher begrüßen wir die Möglichkeit der unbürokratischen Rücknahme einer Personenstands- oder Vornamensänderung durch die Fristgebung in § 4.
Ebenso würden wir eine aus unserer fachlichen Überzeugung auch für Jugendliche angemessene Sperrfrist nach § 5 begrüßen. Es besteht aus unserer fachlichen Sicht keine Veranlassung, die Sperrfrist von einem Jahr für Kinder und Jugendliche nicht gelten zu lassen. Der Satz in der Gesetzesbegründung (S.42) „Dies trägt insbesondere bei Minderjährigen deren noch andauernder Persönlichkeitsentwicklung Rechnung“ unterstellt, dass eine persönliche Reife und die Fähigkeit, die Tragweite der Entscheidung zu erfassen, beim Eintrag der Änderung für diese Altersgruppe doch nicht vorliegen müssten oder im Einzelfall doch nicht vorgelegen hätten.

Wir schlagen vor, Satz 2 des § 5 (1) zu streichen (“Dies gilt nicht in den Fällen des § 3.“).


Zusätzliche Anmerkung:
Anders als in vielen andere Gesetzesvorhaben ist in diesem Gesetz eine Evaluation oder ein Monitoring nicht vorgesehen. Beim aktuell nicht umfangreichen Kenntnisstand zu Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie wäre ein Monitoring und epidemiologische Forschung zu Auswirkungen und Veränderungen, die der geplanten Gesetzesänderung folgen können, sinnvoll und erforderlich.

Für den Vorstand der DGKJP

Prof. Dr. med. Marcel Romanos
Präsident DGKJP