Appell der kinder- und jugendpsychiatrischen und kinder- und jugendmedizinischen Fachgesellschaften und Verbände in Deutschland

Die Kinder- und Jugendpsychiater:innen und –psychotherapeut:innen und die Kinder- und Jugendärzt:innen in Deutschland warnen vor den möglichen Risiken einer Cannabislegalisierung und appellieren, etwaige Legalisierungsbestrebungen nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen. Alle Vorsätze, die Legalisierung mit einem bestmöglichen Jugendschutz zu verbinden, haben sich in vielen Legalisierungsländern als Illusion erwiesen. Bereits die gesellschaftliche Debatte um eine Abgaberegulierung von Cannabisprodukten hat ungünstige Effekte auf das Konsumverhalten junger Menschen. Suchtprävention hat in der Vergangenheit erwünschte Effekte gezeigt, wenn sie auf eine strikte Angebotsreduzierung zielt. Den Markt suchterzeugender Substanzen zu erweitern und auf eine schadensbegrenzende Beeinflussung von Gefährdeten und Konsumierenden durch Verhaltensprävention zu setzen hat sich demgegenüber als kaum wirksam herausgestellt.

Studien aus den USA belegen, dass die Legalisierung von Cannabis auch dann, wenn dies nur für erwachsene Personen vorgesehen ist, doch auch für Jugendliche mit starken Zuwächsen beim Cannabismissbrauch sowie der Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit einhergehen [1]. Infolge der Legalisierung hat die Risikowahrnehmung in Bezug auf die gesundheitlichen Gefahren des Cannabiskonsums insbesondere bei den Minderjährigen abgenommen, trotz aller Beschränkungen des legalen Erwerbs auf Erwachsene [2]. In manchen US-Bundesstaaten mit einer Legalisierung liegen die Konsumquoten in der Bevölkerung um 20 bis 40 Prozent höher als im US-Bundesdurchschnitt [1,3]. Cannabisprodukte, die von Erwachsenen legal erworben werden, werden trotz Verbots an Jugendliche durchgereicht [4,5].

Die Folgen für die medizinische Versorgung von Cannabiskonsumierenden sind alarmierend. In Colorado (USA) hat sich seit der Legalisierung des Cannabisbesitzes die Rate der cannabisbedingten Vergiftungsfälle und cannabisbezogenen Krankenhausaufnahmen mehr als verdoppelt [6,7,8,9]. Bei den cannabisbezogenen Notrufen in Vergiftungszentralen werden die größten Zuwächse in den Altersgruppen 0 bis 8 Jahre und 9 bis 17 Jahre verzeichnet [6,10,11]. Der Anteil der Suizide mit Cannabisbeteiligung ist in Colorado seit der Legalisierung auf das Doppelte angestiegen. Bei den 10- bis 17-Jährigen liegt der Anteil der Suizide mit Cannabisbeteiligung mit 51 Prozent am höchsten [12]. Die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss ist in Colorado nach der Legalisierung ebenfalls auf das Doppelte angestiegen [6,12,13,14].

Zudem zeigt die Legalisierung in den USA und Kanada, dass die angestrebte Austrocknung des Schwarzmarktes nur bedingt gelingt und sich Konsumierende die Cannabisprodukte zu einem nicht geringen Anteil auch weiterhin über illegale Quellen beschaffen. Insbesondere jüngere Konsumentengruppen nutzen die günstigeren Schwarzmarktprodukte bevorzugt. Neben dem fortbestehenden Schwarzmarkt erweisen sich Probleme in der Marktregulierung, Schmuggel und Steuerbetrug bisher als unlösbar [12,15,16].

Die Legalisierung verharmlost auch die gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums auf die altersgerechte physische und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Auftrag gegebene CaPRiS-Studie (Cannabis: Potential und Risiken) zeigt, dass das Abhängigkeitspotenzial für Jugendliche besonders hoch ist [17]. Etwa 9 Prozent aller CannabiskonsumentInnen entwickeln über die Lebenszeit eine Cannabisabhängigkeit. Diese Rate beträgt 17 Prozent, wenn der Cannabiskonsum in der Adoleszenz beginnt bzw. 25 bis 50 Prozent, wenn Cannabinoide in der Adoleszenz täglich konsumiert werden [18].

Die Befunde zu den ungünstigen Einwirkungen auf die Hirnreifung junger Menschen mehren sich seit einer Dekade [19,20]. Cannabiskonsum in Pubertät und Adoleszenz führen zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn mit der Folge von Einbußen in Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen sowie Minderungen der Aufmerksamkeit, Denkleistung und Intelligenz [21,22,23,24]. Da die Hirnreifung bis über die Mitte der dritten Lebensdekade hinausreicht, sind Abgaberegulierungen mit Altersbegrenzungen bei 21 oder gar 18 Jahren aus entwicklungsneurobiologischer Sicht nicht plausibel.

Weiterhin ist der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychischen Störungen gut belegt. Bei vulnerablen Personen besteht ein dosisabhängiger Zusammenhang mit depressiven Störungen, Suizidalität, bipolaren Störungen, Angsterkrankungen sowie zusätzlichem Missbrauch von Alkohol und anderen illegalen Drogen [25]. Cannabiskonsum kann bei ansonsten unauffälligen Menschen mit einer bestimmten genetischen Disposition Psychosen auslösen und den Verlauf schizophrener Psychosen deutlich verschlechtern [26]. Bei Cannabiskonsum in der Schwangerschaft werden Frühgeburten und Entwicklungsstörungen des Kindes beobachtet [27].

Intensiv Cannabis konsumierende Kinder und Jugendliche brechen häufiger die Schule ab und weisen ungünstigere Bildungsabschlüsse als ihre nichtkonsumierenden Altersgenossen auf [28].

Die Programmatik der deutschen Cannabispolitik hat sich mit Blick auf Konsumquoten und Hilfestellungen für Suchtkranke in der Vergangenheit bewährt. Sie fußt auf vier Säulen: Prävention, Hilfen, Schadensminimierung und Angebotsreduzierung (BtMG) [29]. In der deutschen Bevölkerung liegen nach Daten der EBDD die Quoten täglichen oder fast täglichen Cannabisgebrauchs im europäischen Vergleich niedrig (mit 0,4% für die Gesamtbevölkerung auf dem 5. Rang von 14 Ländern insgesamt, europäischer Durchschnitt 0,7%) [30]. Auch hat die Zahl regelmäßig konsumierender Jugendlicher nach Analysen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in den vergangenen 30 Jahren nicht bedeutsam zugenommen [31]. Hinsichtlich der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfen lässt sich feststellen, dass kaum irgendwo anders in Europa vergleichbar viele Cannabisabhängige in eine Suchtbehandlung vermittelt werden wie in Deutschland [30].

Diese erfolgreiche Programmatik inklusive ihrer strikten Angebotsreduzierung sollte fortgesetzt und nicht etwa durch ungünstige Folgen einer Legalisierung beeinträchtigt werden wie sie aus den USA und Kanada in der wissenschaftlichen Literatur berichtet werden. Aufklärung über Gesundheitsgefahren, Resilienzförderung im Kindes- und Jugendalter, Jugendschutzgesetzgebung und Therapieforschung müssen zukünftig gestärkt werden, um das Risikobewusstsein junger Menschen zu schärfen, ihre Widerstandskraft gegen verfrühten Substanzkonsum zu erhöhen und die noch allzu schwachen Interventionserfolge weiter zu verbessern.

Berlin/Mainz/Schleswig, 16.12.2021

Mit Entsetzen hat der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) erfahren, dass die Helios St.Josefs-Hospital GmbH Bochum, plant die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bochum-Linden zu schließen.

Hier zeigt sich die hässliche Seite der Krankenhausprivatisierung, wenn ein offenbar auf Rendite ausgerichteter privater Krankenhaus-Konzern die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen an einem nun „unökonomischen“ Einzelstandort für nicht mehr sinnvoll hält und einen Versorgungsauftrag zurückgeben möchte. Bisher ist die Klinik pflichtversorgend für Notfälle wie schwer magersüchtige, suizidale oder akut psychisch dekompensierte Kinder und Jugendliche und eine bedeutsame, nicht einfach zu ersetzende Anlaufstelle für die Region rund um die Uhr. Sie liegt in einer Region mit nicht gerade wenigen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen.

Nachdem bisher über viele Jahre, bevor gewisse Mindestanforderungen an Personalausstattung gegolten haben, es für private Krankenhausträger sehr attraktiv war, psychiatrische Kliniken zu übernehmen und zu betreiben, kehrt sich nun offenbar das Bild um. Kinder- und Jugendpsychiatrien können nicht mehr, weil sie entsprechend ausreichend Personal vorhalten sollen und damit auch entsprechende Lohnkosten refinanzieren müssen, als attraktiv gelten. Dies ist hochgradig skandalös, zeigt es doch, dass ein gesellschaftlicher Auftrag der Versorgung von schwerst erkrankten Kindern und Jugendlichen offenbar keinerlei Stellenwert in solch trägerseitigen Überlegungen hat. Es lässt fragen, ob die Daseinsfürsorge für diese vulnerable Gruppe wirklich privaten Krankenhausträgern überlassen werden kann. 

Die DGKJP setzt sich mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Versorgung für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche bundesweit auf einem hohen Niveau gesichert wird – die Corona-Pandemie hat hier den Bedarf sichtbarer gemacht und neue Aufgaben gestellt. Wir haben uns im BMG-Dialog „Weiterentwicklung der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen“ federführend dafür eingesetzt, neue Versorgungsmodelle zu entwickeln und die Versorgung auch unter erschwerten Bedingungen, wie dem Fachkräftemangel etc., weiter zu entwickeln. Umso mehr erscheint das Vorgehen in Bochum eine Kluft aufzutun, zwischen dem was inhaltlich-fachlich geboten ist, und dem, was Krankenhausträger offenbar in das Zentrum ihres Handelns stellen. Hier zeigt sich, wie die Ökonomisierung der Medizin auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Es ist eine gesellschaftliche Frage, ob dies in Zukunft akzeptiert werden wird oder ob die Daseinsfürsorge gesamtgesellschaftlich den entsprechenden Stellenwert bekommt. 

Es ist wohlfeil, sich über psychische Probleme auf Grund der Covid-19 Pandemie allenthalben in der Presse zu verlautbaren, es ist zynisch, wenn die Versorgung für die schwerst erkrankten Kinder und Jugendlichen dann heruntergefahren wird. Die DGKJP wird, da sie diesen Vorgang auch als einen Präzedenzfall sieht, wie mit der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen umgegangen wird, dies auf allen Ebenen der Politik, der Krankenhausträger und der Kostenträger zum Thema machen. Neben der sehr persönlichen Betroffenheit der Mitarbeiter*innen der Klinik sehen wir darin auch einen möglichen Dammbruch für die teil- und vollstationäre Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Berlin, 25.11.2021

Mit Entsetzen hat der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) erfahren, dass die Helios St.Josefs-Hospital GmbH Bochum, plant die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bochum-Linden zu schließen.

Hier zeigt sich die hässliche Seite der Krankenhausprivatisierung, wenn ein offenbar auf Rendite ausgerichteter privater Krankenhaus-Konzern die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen an einem nun „unökonomischen“ Einzelstandort für nicht mehr sinnvoll hält und einen Versorgungsauftrag zurückgeben möchte. Bisher ist die Klinik pflichtversorgend für Notfälle wie schwer magersüchtige, suizidale oder akut psychisch dekompensierte Kinder und Jugendliche und eine bedeutsame, nicht einfach zu ersetzende Anlaufstelle für die Region rund um die Uhr. Sie liegt in einer Region mit nicht gerade wenigen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen.

Nachdem bisher über viele Jahre, bevor gewisse Mindestanforderungen an Personalausstattung gegolten haben, es für private Krankenhausträger sehr attraktiv war, psychiatrische Kliniken zu übernehmen und zu betreiben, kehrt sich nun offenbar das Bild um. Kinder- und Jugendpsychiatrien können nicht mehr, weil sie entsprechend ausreichend Personal vorhalten sollen und damit auch entsprechende Lohnkosten refinanzieren müssen, als attraktiv gelten. Dies ist hochgradig skandalös, zeigt es doch, dass ein gesellschaftlicher Auftrag der Versorgung von schwerst erkrankten Kindern und Jugendlichen offenbar keinerlei Stellenwert in solch trägerseitigen Überlegungen hat. Es lässt fragen, ob die Daseinsfürsorge für diese vulnerable Gruppe wirklich privaten Krankenhausträgern überlassen werden kann. 

Die DGKJP setzt sich mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Versorgung für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche bundesweit auf einem hohen Niveau gesichert wird – die Corona-Pandemie hat hier den Bedarf sichtbarer gemacht und neue Aufgaben gestellt. Wir haben uns im BMG-Dialog „Weiterentwicklung der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen“ federführend dafür eingesetzt, neue Versorgungsmodelle zu entwickeln und die Versorgung auch unter erschwerten Bedingungen, wie dem Fachkräftemangel etc., weiter zu entwickeln. Umso mehr erscheint das Vorgehen in Bochum eine Kluft aufzutun, zwischen dem was inhaltlich-fachlich geboten ist, und dem, was Krankenhausträger offenbar in das Zentrum ihres Handelns stellen. Hier zeigt sich, wie die Ökonomisierung der Medizin auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Es ist eine gesellschaftliche Frage, ob dies in Zukunft akzeptiert werden wird oder ob die Daseinsfürsorge gesamtgesellschaftlich den entsprechenden Stellenwert bekommt. 

Es ist wohlfeil, sich über psychische Probleme auf Grund der Covid-19 Pandemie allenthalben in der Presse zu verlautbaren, es ist zynisch, wenn die Versorgung für die schwerst erkrankten Kinder und Jugendlichen dann heruntergefahren wird. Die DGKJP wird, da sie diesen Vorgang auch als einen Präzedenzfall sieht, wie mit der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen umgegangen wird, dies auf allen Ebenen der Politik, der Krankenhausträger und der Kostenträger zum Thema machen. Neben der sehr persönlichen Betroffenheit der Mitarbeiter*innen der Klinik sehen wir darin auch einen möglichen Dammbruch für die teil- und vollstationäre Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Berlin, 25.11.2021

Notwendigkeiten für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Hilfen für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern in Anlehnung an die Empfehlungen der AG KipkE

 

mitgezeichnet durch die DGKJP

 

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verordnung zur Änderung der Pflegepersonaluntergrenzen- Verordnung vom 20. September 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Sorge betrachten wir seitens der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie den Abschnitt im Referentenentwurf, der sich auf Stationen für Kinderpsychosomatik an pädiatrischen Kliniken bezieht. Wir entnehmen dieses bei noch fehlender DRG-Liste der Erwähnung der „Indikatoren-DRGs der Neuro- und Sozialpädiatrie“ in der Begründung des Referentenentwurfs, da die OPS 9-403: „Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie“ zusammenfasst.

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, obliegt es der Landeskrankenhausplanung der jeweiligen Bundesländer zu bestimmen, in welchem Abrechnungssystem die – anders als bei Erwachsenen nicht durch ein eigenes Fachgebiet ausgewiesene – Kinderpsychosomatik verortet ist. So rechnen beispielsweise entsprechende Stationen ihre Leistungen in Baden-Württemberg sämtlich über das DRG-System ab (U 43 Z und OPS 9-403: Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie), in Hessen über das PEPP-System mit den Psych-OPS 9-65 ff, in Bayern ist das Entgeltsystem frei wählbar. Aus Praktikabilitätsgründen (um nicht verwaltungsseitig mit zwei Systemen arbeiten zu müssen) werden die an Kinderkliniken verorteten Kinderpsychosomatik-Stationen überwiegend im DRG-System geführt. Die meisten der Stationen werden interdisziplinär zwischen Kinderärzt*innen und Kinder- und Jugendpsychiater*innen geleitet. Unser Fachgebiet, wie auch aus dem Namen unserer Fachgesellschaft hervorgeht, ist qua Definition auch für die Psychosomatik bei Kindern und Jugendlichen zuständig, hier besteht mit den Kinderärzt*innen eine gemeinsame Schnittmenge.

Nun ist unter den Strukturmerkmalen der OPS 9-403 ein multiprofessionelles Team aufgeführt, das unter anderem aus „(Heil-)Erziehern“ bestehen soll. Erzieher*innen formen diesbezüglich gemeinsam mit den Pflegekräften das „Pädagogisch-Pflegerische Team“, das sich die Tag- und Nachtschichten teilt.

Würden Sie nun in den „speziellen Abteilungen“ wie etwa einer 10 Betten-Psychosomatik einen Mindestschlüssel an Pflegekräften von 6:1 im Tagdienst einführen, würden Sie – da Personen nicht teilbar sind – die Anwesenheit von Erzieher*innen im Team quasi verunmöglichen (die Mindestbesetzung liegt auf einer 10-Betten-Kinder-Psychosomatikstation in aller Regel tagsüber bei 2 Vollkräften). Die entsprechenden Stationen sähen sich somit der Problematik ausgesetzt, die Strukturvoraussetzungen des OPS infolge der PPuG nicht mehr erfüllen zu können, wenn man die „pädagogisch-pflegerischen Teams“ quasi zugunsten des Pflegepersonals umstrukturieren muss. Auch würde diese Vorgabe das Erstellen von Schicht- und Besetzungsplänen enorm erschweren. Es sei darauf hingewiesen, dass in der für die Fachabteilungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie gültigen Personalvorgaben der PPP-RL aus genau diesen Gründen KEINE Vorgaben hinsichtlich der Präsenz von Pflegekräften versus pädagogischen Fachkräften machen und dort – ebenso wie die OPS 9-403 – eine Reihe von Berufsgruppen aufgelistet sind. Das macht sehr viel Sinn, da pädagogische Kompetenz in der stationären Behandlung psychisch und psychosomatisch erkrankter Kinder unverzichtbar ist.

Wir fordern die Bundesregierung somit dringend auf, die PpUG auf die Indikatoren-DRG U41Z mit der OPS 9-403 „Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie“ nicht anzuwenden, da daraus für die Patient*innen eine qualitative Verschlechterung, keine Verbesserung resultieren würde.

Der DGKJP-Vorstand

Berlin, 30.09.2021

An:
Bundesministerin Anja Karliczek
Bundesministerin Christine Lambrecht
Kultusminister*innen der Länder

In den letzten Wochen und Monaten wurden die negativen Effekte der Sars CoV2-19-Pandemie auf die Entwicklung und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vielfältig diskutiert. Dabei wird die hohe Bedeutung des Lebensraumes Schule nicht nur in Bezug auf die Lern- und Leistungsaspekte, sondern auch für eine gesunde psychosoziale Entwicklung für Schülerinnen und Schüler einhellig betont. In der Diskussion um die schulischen Lerndefizite werden jedoch regional bereits jetzt Leistungsnachweise forciert oder die Notwendigkeit für ein „rasches Aufholen“ von Lerninhalten als höchste Priorität benannt.

Als kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische wissenschaftliche Fachgesellschaft und Fachverbände tragen wir aufgrund der bereits bestehenden stark erhöhten psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen erhebliche Sorge hinsichtlich der Gestaltung der schulischen Rahmenbedingungen nach Beendigung der pandemie-bezogenen Maßnahmen. Bereits jetzt weisen auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen vermehrt schulbezogene Leistungsängste auf, was sich in deutlich erhöhten Anmeldungen in Praxen und Ambulanzen widerspiegelt.

Das letzte Schuljahr mit häufig wechselnden und schwer im Voraus zu planenden Beschulungsmodellen war für alle Beteiligten mit erheblichen Belastungen verbunden, insbesondere für die Schülerinnen und Schüler.
Mit Blick auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen warnen wir eindrücklich vor der Beibehaltung von Leistungsanforderungen und einem forcierten „Aufholen“ von Lerninhalten. Diesbezüglich sei auch betont, dass für die gelingende schulische Entwicklung insbesondere positives Selbstwert- und Selbstwirksamkeitserleben von Schülerinnen und Schülern entscheidend ist. Überforderungssituationen haben hingegen sowohl auf die schulische als auch die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schädliche Auswirkungen.

Dabei sind eine Entlastung in Bezug auf Leistungsanforderungen und die Stärkung der derzeit besonders wichtigen sozialen Aspekte für die gesunde Entwicklung der Schülerinnen und Schüler notwendige Kernelemente. Eine individuelle Lern- und Leistungsdiagnostik, die auch solche emotional-motivationalen Aspekte umfassen sollte, ist zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kinder wieder ihren Rhythmus im schulischen Alltag gefunden haben, sicherlich die Voraussetzung für eine individuelle Unterstützung der Schülerinnen und Schüler und für die Einleitung notwendiger weitergehender Fördermaßnahmen. Diese sollte aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt und auch nicht auf Kosten der notwendigen Erholungsphasen in den Schulferien erfolgen.

Wir appellieren dringend an Sie, für das kommende Schuljahr eine Anpassung der bestehenden Lehrpläne vorzunehmen, die diesen besonderen pandemiebedingten Belastungen Rechnung trägt. Dabei sind Flexibilisierung und Entlastung in Bezug auf Leistungsanforderungen und die Stärkung der derzeit besonders wichtigen sozialen Aspekte für die gesunde Entwicklung der Schülerinnen und Schüler notwendige Kernelemente.

Wir hoffen, dass unser Aufruf in seiner Dringlichkeit einen konstruktiven Prozess anstößt und stehen Ihnen auch gerne für einen weiterführenden Austausch zur Verfügung.

Die Vorstände von DGKJP, BAG KJPP und BKJPP

Berlin, 24.06.2021

Wahlprüfsteine für die Bundestagswahl 2021
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)

Die DGKJP geht bei den Wahlprüfsteinen von folgenden wissenschaftlich-epidemiologischen Erkenntnissen aus:

  • Jede zweite psychische Störung im Erwachsenenalter beginnt in der Kindheit vor dem Alter von 15 Jahren (Quelle: Dunedin longitudinal study).
  • Frühe psychische Störungen bei Kindern ziehen enorme Ausgaben der Gesellschaft im späteren Leben nach sich.
  • Frühe Traumatisierungen bei Kindern wirken sich auch auf die somatische Gesundheit im Erwachsenenalter aus.
    Wir verkennen nicht, dass in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, durch Gesetze und Verordnungen die Situation psychisch kranker und gefährdeter Kinder und Jugendlicher zu verbessern. Wir fragen die Parteien allerdings auch, welche Anstrengungen sie diesbezüglich konkret unternommen haben und weiterhin unternehmen wollen.

Darauf basierend, messen wir die zur Wahl stehenden Parteien an den folgenden Punkten:

1. Prävention
Die skandalösen Fälle von Lügde, Mönchengladbach und Staufen haben gezeigt, dass unsere Gesellschaft hinsichtlich des Kinderschutzes und der Missbrauchs- und Misshandlungsprävention und hier insbesondere auch der Zusammenarbeit verschiedener Dienste und Institutionen noch weit entfernt ist von einem effektiven Kinderschutz.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung das Soziale Entschädigungsrecht grundlegend reformiert und Initiativen zur besseren Versorgung von Kindern in Einrichtungen ergriffen hat. Wir begrüßen die Einrichtung von präventiven Modellvorhaben.

  • Das Recht auf gewaltfreie Erziehung in relativer Sicherheit sollte umgesetzt werden durch ein Misshandlungs- und Missbrauchsregister und die Förderung von entsprechenden Registerstudien.
  • Die maximale Anzahl der zu betreuenden Kinder durch eine die Vormundschaft innehabende Person sollte gesetzlich durch eine Obergrenze festgelegt werden.
  • Zur Frühintervention nach Traumatisierungen wird die DGKJP darauf achten, dass Traumaambulanzen nach SGB XIV nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche, mit spezialisierten Fachkräften für Kinder und Jugendliche und kindgerechter Ausstattung, flächendeckend eingerichtet werden.
  • Die Initiativen und geförderten Modellvorhaben zur Prävention von Störungen bei Kindern psychisch kranker Eltern sollten nach positiver Evaluation verstetigt werden.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Welche Anstrengungen werden Sie übernehmen, um die Versorgung von minderjährigen Opfern von Gewalttaten in die Regelversorgung zu bringen? Welchen Stellenwert hat Prävention – gesamtgesellschaftlich und in allen Bereichen der Sozialgesetzgebung – für Ihre Partei?

2. Umsetzung der Kinderrechte und einer kindgerechten Justiz
Kinderrechte sind in dieser Legislaturperiode entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag noch kein Bestandteil der Grundrechte deutscher Bürger*innen geworden, wenngleich in vielen neuen Gesetzen dem Selbstbestimmungsrecht von Kindern und Jugendlichen Rechnung getragen wurde.

Wir begrüßen die in dieser Legislaturperiode erfolgte Stärkung der Rechte von Opfern im Strafverfahren und die beschlossene konsequentere Verfolgung von Cyber-Missbrauch.

Das Übereinkommen des Europarats (SEV-Nr. 201) vom 25.10.2007, die sog. „Lanzarote-Konvention“, sollte noch vollständig in deutsches Recht umgesetzt werden. Opfer von Gewalt sollten das Recht auf eine richterliche Videovernehmung durch geschulte Richter*innen erhalten, um ihnen lange, retraumatisierende Gerichtsverhandlungen zu ersparen.

  • Die Ressourcen für Videovernehmungen und Schulungen der Richter*innen sowie für die erforderliche Entlastung derjenigen Richter*innen, welche für Videovernehmungen zur Verfügung stehen, sollten verbindlich vorgesehen werden.
  • Im Spannungsfeld von spezialisierten Angeboten und der Notwendigkeit der Versorgung in Deutschland in der Fläche ist entsprechende Expertise vorzuhalten.
  • In die zwischenzeitlich eingeräumte Möglichkeit einer Videovernehmung nach § 58a StPO sollte eine Wahlmöglichkeit der Betroffenen aufgenommen werden.
  • Kindlichen Opfern von Gewalt sollte ferner eine Psychotherapie zur Verarbeitung der Geschehnisse sofort zukommen. Dem Mythos einer Behandlung, welche der Wahrheitsfindung der Gerichte entgegenstehe, ist entgegenzutreten.
  • Die Kriterien für Glaubhaftigkeitsbegutachtungen sollten grundlegend von einem Expertengremium unter Beteiligung von kinder- und jugendpsychiatrischer Expertise überarbeitet werden.
  • Das Einvernehmen im Koalitionsvertrag, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, sollte spätestens in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.
  • Die DGKJP fordert hinausgehend über die Forderung nach der Besetzung der Position „Kinderbeauftragte*r“ der Regierung auch die Einführung einer Normenkontrolle aller Gesetzesvorhaben in Hinsicht auf ihre Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche und Familien.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Welche Bedeutung messen Sie dem Strafrecht zu? Welche Rolle sehen Sie im Bereich der Kooperation für die verschiedensten Professionen im Spannungsfeld von Strafrecht und Hilfen?
  • Wie stehen Sie zur Aufnahme von Kinderrechten in das GG?
  • Wie wollen Sie gleichwertige Lebensverhältnisse von Kindern sichern, egal ob diese in ländlichen oder in urbanen Regionen leben, auch bezogen auf die Versorgung mit kinder- und jugendpsychiatrischen und –psychotherapeutischen Angeboten unter Berücksichtigung etwa des Fachkräftemangels? Wie kann eine regionale Versorgung diesbezüglich unterstützt, gesichert und weiterentwickelt werden?

3. Intervention und Behandlung psychischer Störungen bei Kindern – Entwicklung der kinder- und jugendpsychiatrischen Leistungserbringung, insbesondere komplexer Behandlungen
Die DGKJP setzt sich dafür ein, dass das „Inverse care law“ der asymmetrischen Ressourcenallokation an psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten durch eine bessere Planung, eine bessere Verzahnung der Angebote und sektorübergreifende Versorgung angegangen wird.

  • Wir fordern einen Schutz der kleinen, dezentralen kinder- und jugendpsychiatrischen Einheiten vor deren Schließung bei Unterschreiten der PPP-RL und das Einrichten regionaler Dialoge zur Unterstützung. In der Kinderheilkunde wurden diesbezüglich Sicherstellungspauschalen gefordert.
  • Wir fordern bei Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher nach § 64 b SGB V einen Kontrahierungszwang der Leistungsträger und die intensivere Förderung und den flächendeckenden Ausbau von Modellen für Kinder und Jugendliche (mindestens 1 Modellvorhaben je Bundesland für Kinder und Jugendliche)

Die Entwicklung der Versorgung bedarf der kontinuierlichen Weiterentwicklung unter Berücksichtigung von Expert*innen aber insbesondere auch von Betroffenen. Leistungserbringer neigen zu Partikularinteressen. Der Bedarf muss aber von den Patient*innen aus gedacht werden.

  • Wir fordern eine rechtliche Neuordnung der Möglichkeiten der psychiatrischen und psychotherapeutischen Leistungserbringung für Kinder, eine Aufhebung von unsystematischen Leistungsausschlüssen und eine gute Verzahnung der Versorgung mit dem Ausbau von sektorübergreifenden Angeboten.
  • Es fehlt an einem Kooperationsgebot im SGB V; regionale Verbund- und Netzwerkstrukturen mit dem Ziel einer besseren Vernetzung und mehr Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit sind zu fördern.
  • Komplexen Bedarfen von schwer Erkrankten im Kindes- und Jugendalter wird derzeit in den Regelungen des SGB V aufgrund von Sektorschranken nicht ausreichend begegnet.
  • Die ambulante Versorgung für schwerst psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche in psychiatrischen Institutsambulanzen folgt einem länderspezifischen Abrechnungssystem, das die Betreuungsintensität beeinflusst.
  • Wir fordern eine adäquate Berücksichtigung des Faches bei der Finanzierung von evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung kinder- und jugendpsychiatrischer Störungen sowie die breitere Förderung von Forschungsvorhaben zu deren Umsetzung, insbesondere auch einer Leitlinie zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen sowie die Evaluierung des neuen § 1631b (2) BGB.
  • Die DGKJP setzt sich für eine adäquate Personalbemessung in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken ein und für eine auskömmliche Finanzierung der Personalkosten. Es ist nicht ausreichend, nur die Aufsicht und die medizinische Basisversorgung in personellen Mindestvorgaben sicherzustellen – gewährleistet werden soll nach gesetzlichem Auftrag eine leitliniengerechte Qualität. Die Orientierung an überkommenen Krankenhaus-Strukturen in der aktuellen PPP-RL halten wir für kontraproduktiv. Benötigt wird ein von den Bedarfen der Patient*innen ausgedachtes Finanzierungsmodell, das in der Lage ist, die Komplexität der bisherigen Regelungen zu reduzieren. Hierfür bedarf es eines Personalbemessungsmodells.
  • Rehabilitationsmaßnahmen für psychisch kranke Kinder haben trotz der früheren Versuche der Bündelung im SGB IX keinen systematischen gesetzlichen Rahmen und keine bedarfsgerechte Umsetzungsperspektive in der Fläche erhalten.

Unsere Fragen an die Parteien:

  • Welche konkreten Maßnahmen unterstützen Sie zur Weiterentwicklung und Konsolidierung der Behandlungsangebote für psychisch kranke Kinder? Was wird Ihre Partei dafür unternehmen, dass jedes Kind mit einer psychischen Störung Zugang zu Diagnostik und Behandlung erhalten kann – unabhängig vom Wohnort? Inwiefern wird sich Ihre Partei für eine Prüfung des „Plattformmodells“ der psychiatrischen Verbände zur Krankenhausfinanzierung einsetzen?
  • Welche Lösungen zur von Patient*innen aus gedachten ambulanten Komplexleistungen sehen Sie? Welche Möglichkeiten sehen Sie, bundesweit einheitliche und vergleichbare Versorgungsmöglichkeiten zu schaffen? Wie werden Sie mit den Vorschlägen umgehen, die im Zukunftsdialog der Aktion Psychisch Kranke erarbeitet worden sind? Wie denken Sie über eine Verstetigung dieses bewährten Dialogformates mit Einbindung übergreifender Expertise und der Geschäftsführung durch die Aktion Psychisch Kranke? Wie denken Sie über eine Aufnahme kinderpsychiatrischer Expertise in die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR)? Wie denken Sie über ein Bundesmodellprojekt zur Weiterentwicklung von einzelfallbezogener Koordination und regionaler Kooperation?

4. Arzneimittelversorgung
Die Arzneimittelzulassung bei Substanzen gegen psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter hat sich trotz Maßnahmen der EU etc. nicht verbessert. Es geht nicht darum, dass Kinder keine „Versuchskaninchen“ sein sollen, sondern darum, aus der Erfahrung zu lernen, dass die „stick and carrot policy“ der EU-Verordnung für den Bereich der Psychopharmakologie in Deutschland versagt hat. In der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher geht es meist um off-Label Use von off-patent Medikamenten, die hinreichende Evidenz haben.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Sehen Sie Lösungswege, um Patient*innen zu einer besseren Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu verhelfen, in dem für einen begrenzten Bereich nicht die Efficacy sondern Safety Aspekte zu einer begrenzten Zulassung unter strengen Verordnungskautelen führen könnten? Was sind Ihre Maßnahmen, um die Sicherheit von minderjährigen Patient*innen mit Psychopharmakotherapie zu erhöhen?

5. Bildung und Ausbildung
Die Corona-Pandemie hat die schmerzliche Erfahrung mit sich gebracht, wie sehr das deutsche Bildungswesen vor allem die prekär aufwachsenden Kinder und Jugendlichen benachteiligt, dadurch dass es den Anschluss an die Digitalisierung verpasst hat. Bildungsrückstände von benachteiligten Kindern werden größer.

Die Ausdehnung der Medizinstudienplätze erfolgt allzu zögerlich. Auf eine adäquate Berücksichtigung der Lehrstühle unseres Faches wird zu achten sein. Überfällig ist eine Entscheidung das Fach in die Pflichtlehre aufzunehmen, deren Teil es als einziges Klinisches Fach unter allen anderen bisher nicht ist. Nur dadurch kann das Fach unter Studierenden bekannter werden und nur so der eklatante und gegenüber anderen Fächern zahlenmäßig beispiellose Facharztmangel behoben werden

  • Die DGKJP fordert die bürokratiearme Umsetzung der Digitalisierungsstrategie für Schulen aller Schularten und -stufen und die individuelle Berücksichtigung von Kindern aus prekären Lebensverhältnissen, ebenso eine adäquate Berücksichtigung der natürlichen Bewegungsbedürfnisse von Kindern im Rahmen von Videounterricht.
  • Die DGKJP fordert, dass endlich die Umsetzung der Aufnahme des Faches Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in die universitäre Pflichtlehre für Studierende der Medizin im Rahmen der Approbationsordnung erfolgt.
  • Ferner fordert die DGKJP die zügige Umsetzung der Kapazitätsausweitung im Medizinstudium.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Welche Initiativen im Bildungswesen für die Aufhebung von Benachteiligungen – auch die Aufhebung der Benachteiligung des Faches Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Medizinstudium, plant Ihre Partei?

6. Bessere Kooperation von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die DGKJP setzt sich dafür ein, dass eine gemeinsame, integrierte Hilfeplanung bei psychisch kranken und rehabilitationsbedürftigen Kindern und Jugendlichen im multiprofessionellen Rahmen unter Partizipation der Betroffenen erfolgen kann. Die „Übersetzung“ des BTHG in die Jugendhilfe ist noch zu leisten.

  • Eine gemeinsame Hilfeplanung aus allen Systemen muss rechtskreisübergreifend für teilhabebeeinträchtigte und seelisch oder mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche kodifiziert werden.
  • Dem Kontinuitätsprinzip muss z.B. auch für Pflegekinder Vorrang eingeräumt werden, wie es im Entwurf des neuen SGB VIII vorgesehen ist.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Wie stehen Sie zur „inklusiven Lösung“, die seit Jahren diskutiert wird?

7. Forschungsförderung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Ausschreibung der Deutschen Zentren für psychische Gesundheit und Kinder- und Jugendgesundheit ist erfolgt. Dies begrüßen wir. Gleichzeitig wurde deutlich: das Streben nach exzellenter Forschung wurde in der Ausschreibung auf regionale Netzwerke verengt, und vormalige Förderinitiativen des Bundes, wie „Gesund ein Leben lang“ wurden nicht aufgenommen in die Konzeption. Versorgungsforschung kommt zu kurz.

  • Gerade in einem eher „kleinen“ Fachgebiet wie der KJPP sind nationale Netzwerke von entscheidender Bedeutung.
  • Daten aus verschiedenen Kontexten zur Beurteilung sowohl der Prävalenz psychischer Störungen bei Minderjährigen wie auch zur Versorgungssituation sollten systematischer, z.B. in einem Gesundheitssurvey, unterstützt werden.
  • Versorgungsforschung ist in Deutschland für diesen Bereich zu wenig ausgeprägt. Das RKI kann alleine nicht die Versorgungsdaten bewerten, sondern es bedarf der Förderung auch von Projekten aus dem universitären Bereich.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Wie sollen Forschung und Verbünde jenseits der DZ Ihrer Meinung nach gefördert werden?
  • Ist Forschung zu psychischen Störungen, der neuen Morbidität in Industrienationen und deren Behandlung bei Kindern und Jugendlichen in der Zukunft eine Aufgabe, die an medizinischen Fakultäten jenseits von einzelnen DZ eine Rolle spielen soll? Welche Forschungsschwerpunkte für den Bereich der psychisch kranken Kinder wollen Sie setzen – auch für die Versorgungsforschung?

Der Vorstand der DGKJP

Einsatz von Sprach- und Kulturmittlern in der psychotherapeutischen Versorgung von geflüchteten Kindern, Jugendlichen, ihren Familien und Bezugspersonen:

Empfehlungen für die klinische Praxis 

Zusammenfassung
Psychotherapie mit Sprach- und Kulturmittlern ist anspruchsvoll und stellt spezifische Herausforderungen an alle Beteiligten. Gleichzeitig können darüber auch Ressourcen generiert werden, die den therapeutischen Prozess positiv beeinflussen. In diesem Papier werden Probleme und Chancen bei der Arbeit mit Dolmetscherinnen im psychiatrischen/psychotherapeutischen Versorgungskontext von geflüchteten Kindern und Jugendlichen vorgestellt. Es werden Empfehlungen gegeben, wie die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden im Versorgungskontext von Kindern und Jugendlichen optimiert werden kann, um einen Beitrag zur Etablierung von Qualitätsstandards zu leisten .

1. Hintergrund
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge ist Psychotherapie mit Dolmetscherinnen grundsätzlich genauso effektiv wie muttersprachliche Psychotherapie (Brune, Eiroá-Orosa, Fischer-Ortman, Delijaj, u. Haasen, 2011; Lambert u. Alhassoon, 2015). Auch Erfahrungen aus der Praxis bestätigen dies weitestgehend, wobei in Einzelfällen durchaus auch negative Erfahrungen berichtet werden, wenn die Dolmetscherinnen und Therapeutinnen hinsichtlich Sprachmittlung oder transkultureller Sensibilität unzureichend ausgebildet oder reflektiert waren. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von einheitlichen Qualitätsstandards für den Dolmetscherinneneinsatz im psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Kontext sowie im Hinblick auf transkulturell sensible Sprachmittlung. Aktuelle Forschungsarbeiten beschäftigen sich daher mit Besonderheiten, Chancen und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen und der Frage, wie „Psychotherapie zu dritt“ sinnvoll gestaltet werden kann (Morina, Maier u. Mast, 2010; Wolf u. Özkan, 2012; Boss-Prieto, De Roten, Elghezouani, Madera, u. Despland, 2010; Reher u. Metzner, 2016; Schepker u. Toker, 2009).
Neben Anregungen zur inhaltlichen Gestaltung der Zusammenarbeit mit Dolmetschenden möchten wir auch auf Besonderheiten auf struktureller Ebene hinweisen, deren Berücksichtigung einen wesentlichen Einfluss auf die Qualitätssicherung hat. So wird oft nicht hinreichend beachtet, dass die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden ist, welchem durch zusätzliche personelle als auch finanzielle Ressourcen Rechnung getragen werden muss.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist, für das spezifische Setting der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen einen Überblick über Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis zu geben um damit einen Beitrag zur professionellen Handlungssicherheit in der Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen zu leisten.

2. Professionelle Dolmetscherinnen
Im psychiatrisch-psychotherapeutischen Kontext sollten keine Laien- oder Ad-hoc-Dolmetscherinnen (z. B. Familienangehörige oder Krankenhausangestellte) eingesetzt werden, da hierdurch hohe Fehlerquoten und nachfolgend beschriebene unerwünschte negative Nebenwirkungen entstehen (Morina et al., 2010; Salman, 2002; Schepker u. Toker, 2009). Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nach wie vor häufig, vor allem im stationären Kontext und in Akutsituationen, geschieht, da keine professionellen Dolmetscherinnen verfügbar sind oder die zusätzlich anfallenden Kosten nicht abgerechnet werden können (Baron u. Flory, 2017). In der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine Indikation zum Dolmetscherinneneinsatz auch gegeben, wenn die Patientinnen selbst die deutsche Sprache bereits ausreichend beherrschen, ihre Bezugspersonen jedoch nicht. Immer wieder kommt es in solchen Situation außerhalb des therapeutischen Rahmens zu Überforderungen und Rollendiffusionen, da die Kinder für ihre Eltern dolmetschen müssen. So sind Kinder und Jugendliche häufig gehemmt, mit Familienangehörigen über intime oder emotional belastende Themen zu sprechen. In der Rolle des Dolmetschenden bei Familiengesprächen setzt man sie daher nicht nur einer potentiellen emotionalen Überforderung aus, sondern geht auch die Gefahr ein, dass Inhalte „gefiltert“ übersetzt werden. Man überlässt ihnen die Verantwortung darüber, welche Inhalte sie in welcher Art und Weise den jeweiligen Parteien mitteilen. So werden schambehaftete Themen eventuell nicht übersetzt, was wiederum zu intrapsychischen Konflikten des Kindes/Jugendlichen als auch zu Störungen innerhalb des Familiensystems führen kann. Diese Umstände machen eine professionelle therapeutische Arbeit unmöglich und erhöhen die Gefahr von Fehlbehandlungen.

2.1 Anforderungen an Dolmetscher
Dolmetschen ist eine komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit. Es erfordert neben sprachlichen Fähigkeiten, eine hohe Konzentrationsfähigkeit, eine gewisse kognitive Reife, ein gutes Bildungsniveau sowie ein hohes Reflexionsvermögen. Dolmetscherinnen sollten in der Lage sein, kulturgebundene Ausdrücke einordnen und erklären zu können (Wolf u. Özkan, 2012). Dolmetscherinnen müssen eine professionelle Haltung einnehmen und ethische Regeln einhalten. Gemeint sind Wahrung der Schweigepflicht, Neutralität, Allparteilichkeit, Loyalität im Umgang mit Patientinnen und Therapeutinnen (Morina et al., 2010) sowie Rollenklarheit. Sie sollten zudem ein Verständnis für psychiatrische/psychotherapeutische Arbeit mitbringen. Nicht zu unterschätzen ist die emotionale Belastung, die beispielweise durch Übersetzung traumatischer Inhalte entsteht, mit der Dolmetschende zurechtkommen müssen. Eine hinreichende emotionale Stabilität und professionelle Psychohygiene sind daher wichtige Voraussetzungen für die Arbeit.

3. Empfehlungen zur Qualitätssicherung bei dolmetschergestützten Therapiegesprächen
Der wichtigste Wirkfaktor bei der therapeutischen Arbeit ist die Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin. Bei der Arbeit mit Dolmetscherinnen im therapeutischen Setting wird die therapeutische Dyade durch die Dolmetscherin zu einer Triade ausgeweitet und damit auch jeweils eine zusätzliche Beziehung zur Dolmetscherin eingegangen. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, dass eine Dolmetscherin den gesamten diagnostischen und psychotherapeutischen Prozess begleitet, sofern die initiale Passung stimmt. Letztere sollte nach dem Erstkontakt von der Patientin erfragt werden, idealerweise in Abwesenheit der Dolmetscherin. Eine personelle Kontinuität in der therapeutischen Arbeit schafft Vertrauen und erleichtert der Patientin in der Praxis oft, sich zu öffnen, um sich auf den therapeutischen Prozess einlassen zu können.

3.1 Innere Haltung
Grundsätzlich ist eine respektvolle und wertschätzende Haltung bezüglich individueller Unterschiede in der Zusammenarbeit zwischen Dolmetscherin, Therapeutin und der Patientin wichtig. Darüber hinaus bilden hohe Transparenz, Klarheit über Regeln, Geduld und Offenheit auf allen Seiten die Basis für ein offenes und vertrauensvolles Miteinander.

3.2 Vor dem Gespräch
Der Kontakt zwischen Dolmetscherin und Patientin im Wartebereich sollte auf ein professionelles Mindestmaß reduziert sein. Bevorzugt wird, dass die Dolmetscherin vor dem Sitzungsbeginn getrennt von der Patientin wartet, sofern dies die räumlichen Gegebenheiten zulassen. Eine kurz gehaltene Begrüßung der Patientin durch die Dolmetscherin ist selbstverständlich möglich, wenn beide sich im Wartebereich sehen. Diese Vorgabe dient der Rollenklarheit und dem Schutz der Dolmetscherin vor Zusatzaufträgen durch die Patientinnen, dies sollte gegebenenfalls auch gegenüber diesen erläutert und als institutionelle Vorgabe begründet werden.

3.2.1 Dolmetscherinnenvorgespräch
Ein Vorgespräch zwischen Therapeutin und Dolmetscherin stellt eine wichtige Grundlage für eine gelingende Zusammenarbeit dar. Dadurch wird gewährleistet, dass die dolmetschende Person bereits im Raum ist, bevor die Patientin eintritt. Zudem verdeutlichen Therapeutin und Dolmetscherin damit ihr Selbstverständnis als Team gegenüber der Patientin.
In der Praxis hat es sich bewährt, sich für das erste Vorgespräch etwas mehr Zeit zu nehmen (ca. 10-15 min) und mit der Dolmetscherin über Erwartungen und Anforderungen an die Zusammenarbeit zu sprechen. Es wird eine Wort-für-Wort-Übersetzung angestrebt, die jedoch in der Praxis nicht uneingeschränkt umsetzbar ist. Manche sprachlichen Ausdrücke sind stark kulturell geprägt und müssen daher teilweise in ihrem Sinn übersetzt werden, um richtig eingeordnet und verstanden werden zu können. Insbesondere die Verwendung einer Metapher kann in unterschiedlichen Sprachen eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben, was bei einer Wort-für-Wort-Übersetzung zu Missverständnissen oder Verfälschungen des Sinngehalts führen kann. Sie sollten daher von Therapeutinnen eingeleitet und in ihrer Bedeutung erklärt werden. Verwenden Patientinnen Metaphern sollte deren Bedeutung von der Therapeutin niederschwellig erfragt werden .
Es ist darüber hinaus wichtig, über die Schweigepflicht aufzuklären. Unmittelbare Rückmeldungen zu Übersetzungsqualität und -technik sollten ebenfalls vereinbart und in das Nachgespräch integriert werden.
Die Vorgespräche bei weiteren Therapiesitzungen nach dem Ersttermin können kürzer ausfallen bzw. haben andere Schwerpunkte. Grundsätzlich sollte kurz über Ziele und Erwartungen an das Gespräch informiert werden. Wenn bestimmte therapeutische Interventionen geplant sind (z. B. Imaginationsübungen), sollten diese kurz erklärt werden, um Irritationen zu vermeiden und damit sich die Dolmetscherin darauf einstellen kann.

3.3 Während des Gesprächs
Im Erstgespräch sollte eine Vorstellungsrunde zum Abbau von Ängsten und Unsicherheiten sowie zur Rollenklärung erfolgen. Danach sollte die Patientin im Detail über den Dolmetscherinneneinsatz aufgeklärt werden, vor allem über die Schweigepflicht, die konsekutive Übersetzung in der Ich-Form und damit die Übersetzung von ausnahmslos allem, was während der Sitzung gesprochen wird.
Bei dieser Gelegenheit sollte auch geklärt werden, ob sich Patientin und Dolmetscherin bereits aus einem anderen Kontext kennen. Zwischen Dolmetscherin und Patientin sollte außerhalb der Sitzungen kein privater Kontakt bestehen. Sollte dies anders sein oder ist die Patientin bereits vor der ersten Sitzung der Dolmetschenden bekannt, muss dies von dieser gegenüber der Therapeutin angesprochen werden. Es soll offen besprochen werden, in wie fern dies die Zusammenarbeit beeinflusst und ob ein Dolmetscherinnenwechsel sinnvoll ist.
Gerade in kleinen sprachlichen, ethnischen, politischen oder religiösen Diaspora-Gemeinschaften ist es oft schwer, entsprechend „neutrale“ Übersetzerinnen zu finden. Mitunter ist die Möglichkeit zu prüfen, in einer Drittsprache zu sprechen oder mit technischen Übersetzungshilfen oder telefonischen Übersetzungsdiensten zu arbeiten.

3.3.1 Gesprächsgestaltung
Für die Gestaltung dolmetschergestützter Therapiegespräche geben Walter u. Adam (2003) sowie Morina et al. (2010) eine gute Orientierung. Insbesondere folgende Hinweise haben sich in der Praxis bewährt: Die Therapeutin hält mit der Patientin Blickkontakt und spricht sie direkt an. Die Gesprächseinheiten sollten auf beiden Seiten von Therapeutin und Patientin möglichst kurz gehalten werden (zwei bis vier Sätze). Durch ein jeweiliges kurzes Handzeichen, das im Vorfeld mit allen Beteiligten besprochen wurde, sollen längere Gesprächspassagen unterbrochen werden, um das bis dahin Gesagte zu übersetzen. Diese trägt maßgeblich zur Qualität der Übersetzung bei.
Seitens der Therapeutin soll auf eine leicht verständliche Ausdrucksweise geachtet werden. Komplizierte Nebensätze, Fachjargon und typisch deutschsprachige Redewendungen sollten vermieden werden, da diese oft missverstanden werden, oder nicht eins zu eins übersetzt werden können. Dolmetscherinnen sollen explizit darauf hingewiesen werden bei Unklarheiten um eine Umschreibung des Gesagten zu bitten. Sofern Fragen aufkommen oder auch Irritationen und Konflikte entstehen, sollen diese transparent gemacht werden, damit gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann. Metaphern sollten möglichst direkt übersetzt werden, da sie wesentliche kulturelle Zugänge erlauben. Damit dies gelingen kann, ist das Schaffen einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre für alle Beteiligten unerlässlich.

3.4 Rollenverständnis
Es gibt unterschiedliche Ansätze zum Rollenverständnis von Therapeutin und Dolmetscherin in der Therapie. Die Rollen sollten definiert sein und nach dem Erstgespräch reflektiert werden. Im Folgenden wird ein Ansatz vorgestellt, bei dem die Gestaltung der therapeutischen Arbeit ausschließlich bei der Therapeutin liegt und die Dolmetscherin inhaltlich keinen Einfluss auf die Sitzungsgestaltung nimmt. Andere Ansätze beziehen die Dolmetscherin bei entsprechender Vorbildung als Ko-Therapeutin oder teilnehmende Beobachterin ein. Diese werden hier nicht beschrieben, können aber unter besonderen Umständen zur Anwendung kommen.

3.4.1 Therapeutin
Während der therapeutischen Sitzung ist die Therapeutin für die Gesprächsführung zuständig und trägt die Verantwortung für den gesamten therapeutischen Prozess und die Einhaltung der zuvor besprochenen Gesprächsregeln.

3.4.2 Dolmetscherin
Dolmetscherinnen haben im Kontakt mit Patientinnen eine Sprachmittlerfunktion und tragen die Verantwortung dafür, dass alles Gesagte gedolmetscht wird. Auch Zwischenfragen, Unverständnis und Wiederholungen sollten explizit mit übersetzt werden, da sie diagnostisch wichtig sein können. Die Wiedergabe sollte in beide Richtungen in der ersten Person erfolgen (Abdallah-Steinkopff, 2000). Sofern es um hochbelastende Inhalte, wie traumatische Erfahrungen geht, kann die dolmetschende Person in die 3. Person wechseln, um sich selbst zu schützen (Orth, 2002). Dies geschieht oft automatisch und unbewusst und kann als Belastungshinweis gewertet werden. Die Dolmetscherin sollte keinen Einfluss auf den Gesprächsverlauf nehmen und keine Nebengespräche mit der Patientin führen. Sie sollte sich neutral und unparteiisch verhalten. Religiöse oder politische Einstellungen dürfen die Übersetzung nicht beeinflussen. Eigene Einschätzungen und Interpretationen sind während der Sitzung nicht erwünscht, sollten gegebenenfalls aber im Nachgespräch angesprochen werden. Damit nimmt die dolmetschende Person in dieser Hinsicht eine eher „passive“ Rolle hinsichtlich des Gesprächsverlaufes ein. Dies sollte als Arbeitshaltung verinnerlicht werden, um etwaigen Rollenkonflikten vorzubeugen.

3.4.3 Sitzordnung
Die Rollen von Dolmetscherin und Therapeutin können durch eine bestimmte Sitzordnung hervorgehoben werden (Haenel, 2001; Gondos, 1992), indem Therapeutin und Patientin sich gegenübersitzen, während die Dolmetscherin zwischen beiden sitzt, sodass ein gleichschenkliges Dreieck entsteht. Somit bilden Patientin und Therapeutin eine Hauptachse, wobei die dolmetschende Person ein Stück weit außerhalb dieser Achse positioniert ist, sich jedoch immer noch jeder Gesprächspartnerin gleich gut zuwenden kann. Keinesfalls sollen Dolmetscherinnen aus dem Blickfeld der Patientin bzw. Therapeutin verschwinden, indem sie hinter der Patientin oder Therapeutin sitzen (Morina et al., 2010; Abdallah-Steinkopff, 2000).

3.5 Nach dem Gespräch

3.5.1 Nachbesprechung
Die Nachbesprechung hat fallbezogen eine sozialisationsvermittelnde und reflexive Funktion. Zudem sollten auch Fragen von Rollenkonflikten oder der Eigenbelastung der dolmetschenden Person Raum haben. Sie gewährleistet außerdem, dass die dolmetschende Person erst nach der Patientin den Raum verlässt, was zum einen das Selbstverständnis von Therapeutin und Dolmetscherin als Team unterstreicht und zum anderen die Dolmetscherin davor bewahrt, sich gegenüber ggf. vorgebrachten Bitten der Patientin an den Dolmetscher, ihn bei weiteren Angelegenheiten zu unterstützen, abgrenzen zu müssen.
Im Nachgespräch können Schwierigkeiten sowie Eigentümlichkeiten in der Kommunikation und dem sprachlichen Ausdruck ausgetauscht werden. Es ist wichtig, im Sinne einer Verbesserung der Gesprächsgestaltung, dass sich Dolmetscherin und Therapeutin über Besonderheiten beim Gespräch austauschen. Zum Beispiel sind manche Sätze im Konjunktiv nicht ohne weiteres in jede Sprache übersetzbar und können damit fälschlicherweise als Unterstellungen oder Handlungsanweisungen verstanden werden (Kluge u. Kassim, 2006; Schepker u. Toker, 2009). Außerdem können soziokulturelle Hintergrundinformationen und Besonderheiten (wie beispielsweise Tabus) bei der dolmetschenden Person eingeholt werden. Die Angaben der Dolmetschenden können wichtige Anregungen geben, die gegebenenfalls im Folgegespräch mit der Patientin verifiziert oder falsifiziert werden können. Generell sollten Therapeutinnen auch innerhalb einer Sitzung subjektiv soziokulturelle Vorstellungen und Unsicherheiten offen ansprechen, um sich die subjektive Sicht der Patientinnen und ihrer Bezugspersonen schildern zu lassen. Die Einschätzung der Dolmetscherin sollte hier von massiven Missverständnissen ausgenommen erst im Nachgespräch erfolgen. Die potenzielle Belastung einer Dolmetscherin und die therapeutische Verantwortung, auch für ihre Psychohygiene, wird am Gesprächsanfang benannt. In der Regel wird dies von Patientinnen als Achtsamkeit gegenüber Belastungen wahrgenommen. Sollten sich Dolmetscherinnen durch Inhalte innerhalb der therapeutischen Zusammenarbeit belastet bzw. überfordert fühlen, sollte dies im Nachgespräch ebenfalls mitgeteilt werden. Die emotionale Belastung für Dolmetscherinnen in schwierigen Therapiesituationen sollte nicht unterschätzt werden (Jacobson & Vesti, 1990). Es ist die Aufgabe der Therapeutin die Dolmetscherin, danach zu fragen und die Rückmeldung über eine gegebenenfalls bestehende psychische Belastung als hochgradig professionelle und damit explizit gewünschte Art der Zusammenarbeit zu vermitteln. Es sollte dann gemeinsam nach Wegen gesucht werden, um die psychische Belastung der Dolmetscherin zu mindern und emotionale Regulationsstrategien zu vermitteln. Sollte dies im Einzelfall nicht ausreichend sein, sollte zum Schutz der Dolmetscherin ein Wechsel überlegt werden oder ggf. eine Vermittlung zu einem Unterstützungsangebot erfolgen.

4. Dolmetscherinnenschulungen und Supervision
Zum Zwecke der Qualitätssicherung sollten Schulungen für Dolmetscherinnen angeboten werden, in denen allgemeine Prinzipien des Dolmetschens in therapeutischen Kontext vermittelt und aktiv eingeübt werden. Schulungen sollten mit Fortbildungszertifikaten (i.S.v.: „Dolmetschen in Beratung und Psychotherapie“) honoriert werden. Die klinische Praxis zeigt, dass Dolmetschende teilweise mit hochbelastenden Krisensituation und Gesprächsinhalten im Rahmen ihrer Einsätze konfrontiert werden. Es sollten daher regelmäßige Supervisionen für Dolmetscherinnen angeboten werden, um einen geschützten Raum zu schaffen, in dem sich diese über die jeweiligen Prozesse und zum Thema Psychohygiene Unterstützung holen bzw. geben können.

Fazit für die Praxis
Wie auch in der klassischen Dyade zwischen Therapeutin und Patientin gilt auch in der Triade zwischen Therapeutin, Patientin und Dolmetscherin, dass Kommunikation und Beziehung untrennbar miteinander verknüpft sind. Hohe Transparenz, Klarheit über Regeln und Geduld auf allen Seiten sind die Basis für ein respektvolles, offenes und vertrauensvolles Miteinander und das Gelingen therapeutischer Arbeit. Dolmetscherinnen sind spezifisch für den Einsatz im therapeutischen Setting zu schulen und eine Kontinuität in der Zusammenarbeit ist herzustellen. Somit sollte eine Dolmetscherin idealerweise den gesamten diagnostischen und therapeutischen Prozess einer Patientin begleiten, um eine tragfähige und verlässliche Beziehungsgestaltung möglich zu machen. Für eine gute Zusammenarbeit zwischen Therapeutin und Dolmetscherin sind Vor- und Nachgespräche jeder Sitzung essenziell. Unter anderem durch ihre sozialisationsvermittelnde und reflexive Funktion tragen sie zur Qualitätssicherung entscheidend bei. Außerdem können sie die Entstehung psychischer Belastungssymptome bei der Dolmetscherin frühzeitig erkennen oder vorbeugen helfen, indem Belastungen, welche Beispielsweise vor dem Hintergrund eigener biografischer Erfahrungen mit Flucht und Migration während therapeutischer Sitzungen getriggert werden können, direkt kanalisiert werden. Darüber hinaus sollten jedoch auch regelmäßig Supervisionstermine angeboten werden. In der psychotherapeutischen Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen ist professionelle Dolmetschung eine notwendige Qualitätsleistung, der durch Bereitstellung zusätzlicher personeller und zeitlicher Ressourcen (Dolmetscherin, Therapeutin, Sekretariat etc.) Rechnung getragen werden muss.

Referentenentwurf einer Verordnung zur Neuregelung der ärztlichen Ausbildung
DGKJP-Stellungnahme

Sehr geehrter Herr Suhr,

herzlichen Dank für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf für die neue Approbationsordnung für Ärzt*innen, der uns über die AWMF erreichte.

Sie finden die Kommentierung und Bewertung der DGKJP im Folgenden geordnet nach den einzelnen Paragraphen.

§ 1
Die DGKJP begrüßt, dass als Ziel der ärztlichen Ausbildung auch Grundlagenwissen über psychische Eigenschaften des Menschen vermittelt werden soll (§ 1). Wir regen diesbezüglich an, dass der Entwicklungsgedanke hier noch ergänzt wird, dass also § 1 (2) 1. folgendermaßen formuliert wird: „das Grundlagenwissen über Körperfunktionen und psychische Eigenschaften des Menschen über die gesamte Entwicklung“. Als wissenschaftliche Fachgesellschaft für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen halten wir es für dringend geboten, dass die Ausbildung zukünftiger Ärzt*innen dezidiert auch die Spezifika der körperlichen, kognitiven und psychischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen enthält, da in diesem Alter wesentliche Grundlagen für die Gesundheit über die gesamte Lebensspanne gelegt werden und insofern auch unter Präventionsaspekten besondere Bedeutung zukommt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Kinderschutz nun in der Approbationsordnung verankert ist (§ 1 (2) 6.).

§ 3
Die DGKJP begrüßt die Förderung des fächerübergreifenden Denkens sowie die stärkere Verbindung von vorklinischer und klinischer

Ausbildung und die Integration von Grundlagenwissen in den klinisch orientierten Unterricht. Explizit begrüßen wir zudem, dass die Inhalte nun durch den Nationalen Lernzielkatalog Medizin (NKLM) vorgegeben werden (§ 3 / § 5).
Wir halten es allerdings für einen fundamentalen Bruch der Inhalte des NKLM, an denen wir aktiv mitgearbeitet haben, dass unser Fach als größeres klinisches Fach weiterhin nicht in den Kanon der vor dem dritten Staatsexamen zu belegenden klinischen Fächer (Anlage 3) aufgenommen worden ist. Basierend auf den repräsentativen deutschen KIGGS-Studien sind ca. 20 % aller Kinder und Jugendlichen hinsichtlich psychischer und Entwicklungsstörungen auffällig und bedürfen einer Abklärung durch unser Fachgebiet. Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind die sog. „neue Morbidität“ in Deutschland (und industrialisierten Gesellschaften). Das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ist zudem ein ärztliches Weiterbildungsfach mit eigenem Facharzt. Aktuell finden sich in dem Kanon der approbationsrelevanten klinischen Fächer sogar (Querschnitts-) Fächer, bezüglich derer bisher keine Gebietsweiterbildung laut Ärztlicher Musterweiterbildungsordnung (MWBO), sogar nicht einmal eine Zusatzweiterbildung absolviert werden kann („Gendermedizin“, „Gesundheitsökonomie“, „Palliativmedizin“, „Klinische Umweltmedizin“). Neben dem Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie fehlen in der Approbationsordnung auch weitere wichtige klinische Fachgebiete wie Neurochirurgie, Nuklearmedizin, Phoniatrie/ Pädaudiologie und Transfusionsmedizin.

An dieser Stelle enthält die Approbationsordnung aus unserer Sicht einen systematischen Widerspruch. Benannt werden in Anlage 3 Fächer, die bis zum „Dritten Abschnitt der ärztlichen Prüfung“ nach dem Praktischen Jahr belegt werden sollen. In den Durchführungsbestimmungen zum Praktischen Jahr wird aber wiederum auf Fachgebiete verwiesen (§ 50: „Der ausbildende Arzt oder die ausbildende Ärztin muss Facharzt oder Fachärztin für das Gebiet sein, in dem die Lehre durchgeführt wird“).

§ 14
Ein Hinweis auf die Fachgebiete der MWBO wäre hier hilfreich, damit so klargestellt ist, dass unser Fachgebiet wie bisher in Lehrpraxen und im Praktischen Jahr gewählt werden kann.

§ 31- § 33, § 35
Es wäre wichtig, dass medizinisch-wissenschaftliche Fertigkeiten in allen Bereichen (Modulen) des Medizinstudiums vermittelt werden und nicht nur in einzelnen. Es ist ansonsten zu befürchten, dass die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen zur Beurteilung neuer Diagnostik- und Therapieverfahren, was alle Ärzt*innen im Laufe ihres Berufslebens beherrschen müssen, um eine evidenzbasierte Medizin auszuüben, nicht ausreichend unterrichtet werden. Auch die Ausrichtung auf Kernkompetenzen ärztlichen Handelns, wie in § 31 Abs. 4 vorgesehen, halten wir für begrüßenswert. Gerade für die Vermittlung der Kernkompetenzen wie Gesprächsführung und interprofessionelle Kompetenzen, ist das Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie besonders geeignet, da die Orientierung auf Familienmedizin und auf Interprofessionalität immanente Bestandteile des Fachgebiets der Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie sind. Umso folgerichtiger wäre es, das Fachgebiet in Anlage 3 aufzuführen. Es ist nicht unter einem anderen Fachgebiet zu subsummieren, sondern ergänzt diese. Dies ermöglicht dann auch die Wahlfreiheit von Studierenden im Rahmen von Blockpraktika entsprechend § 35. Es ist nicht verständlich, warum ein Blockpraktikum in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie im Gegensatz z.B. zur Psychiatrie und Psychotherapie oder zur Psychosomatik und Psychotherapie.
Durch Weglassen der Kinder- und Jugendpsychiatrie würden überdies Minderjährige im Vergleich zu Erwachsenen mit psychischen Störungen deutlich schlechter gestellt.

§ 37
Hinsichtlich der Vertiefungsbereiche sollte ebenfalls ein Hinweis auf die Fachgebiete der MWBO aufgenommen werden. Es ist auch hier notwendig, dass das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie als Teil eines Vertiefungsbereiches mit der Möglichkeit der Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit (§ 38) gewählt werden kann. In § 39 wird bei den „Leistungsnachweisen über Module“ auch auf den Vertiefungsbereich abgehoben, die Auflistung der klinischen Fächer für die Module sieht unser Fachgebiet (Anlage 3, s.o.) der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie jedoch nicht vor.

Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass einige der neu aufgenommenen übergeordneten Kompetenzen (Anlage 4) eindeutig dem Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie zuzuordnen sind. Insbesondere trifft das zu für „die Grundlagen zu Fragen des Kinderschutzes und zum Umgang mit Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung“, die sogar als Ziel der ärztlichen Ausbildung in § 1 (2) Ziff. 7 formuliert wurden, ebenso für „das Grundlagenwissen über die Körperfunktionen und die psychischen Eigenschaften des Menschen“. Ebenso trifft es zweifelsfrei für die Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen zu oder für die Prüfungsinhalte (s. Anlage 14) „Körperliche, geistige und psychische Entwicklung und ihre Varianten“ oder (Anlage 15) „Notfallmaßnahmen bei somatischen und psychischen Erkrankungen.“

Zusammenfassend bitten wir darum, das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in die Anlage 3 aufzunehmen sowie hinsichtlich der Blockpraktika verbindlich zu berücksichtigen.

Angehende Ärzt*innen erfahren derzeit zu wenig über die häufigsten Vorstellungsanlässe bei Kindern und Jugendlichen überhaupt. Die Studien des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass ein Fünftel aller Kinder emotionale Störungen oder Auffälligkeiten im Verhalten zeigen, d.h. ein großer Teil der heutigen Morbidität von Kindern und Jugendlichen sind psychische und Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter. Jede*r zukünftige Ärzt*in muss sich zudem mit Notfallsituationen im Kinderschutz, bei selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität im Kindes- und Jugendalter auskennen. Diese Inhalte können nur durch das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie wissenschaftlich fundiert vermittelt werden. Diese Inhalte sind, wie oben schon dargelegt, auch wesentlich für Fertigkeiten der Früherkennung und Frühintervention bei künftigen Allgemeinmediziner*innen, internistischen Hausärzt*innen und Kinderärzt*innen, denn: die Hälfte der psychischen Störungen Erwachsener beginnt in der Kindheit.

Die Möglichkeiten für Forschung und Lehre in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sind demgegenüber an den meisten Fakultäten bereits gut etabliert, so dass eine entsprechende Änderung in der Approbationsordnung schnell umgesetzt werden kann.

Wir verweisen abschließend nochmals auf unsere Stellungnahme zum Entwurf der Approbationsordnung vom 29.11.2019 aus dem Februar 2020, dort heißt es:

„Dies kommt auch dem grundsätzlichen Ansatz der Reform und Erneuerung der ÄApprO, Kompetenzen im allgemeinen medizinischen Bereich als Grundversorgung zu stärken, entgegen. Psychische Störungen greifen erheblich in die familiären, sozialen, schulischen und beruflichen Gefüge ein und verursachen erhebliche und langfristige Kosten, u.a. für die sozialen Sicherungssysteme. Grundlagenkenntnisse hinsichtlich Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind von daher unabdingbar auch im Studium zu erwerben.

Die KJPP ist in der klinischen Versorgung genuin mit der Früherkennung, Diagnostik, Prävention, Therapie und Rehabilitation von psychischen und psychosomatischen Störungen im Kindes- und Jugendalter betraut. Dabei ist die KJPP wesentliches Scharnierfach in der interdisziplinären Vernetzung mit der Pädiatrie, der Psychiatrie und der Psychosomatik des Erwachsenenalters, sowie gleichermaßen außerhalb der Medizin mit der Psychologie und der Pädagogik. Gleichzeitig ist die Vermittlung der notwendigen Kenntnisse in der medizinischen Lehre im Vergleich zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung früh beginnender psychischer Störungen dramatisch unterrepräsentiert.“

Berlin, 14.01.2021

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung
(Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

haben Sie vielen Dank für die Übermittlung des obigen Referentenentwurfs.
Einige Intentionen des Gesetzes, wie die Möglichkeit der Berücksichtigung von unterhaltsberechtigten nicht gemeinsamen Kindern in den Versichertenbeiträgen und die selbstverständliche Übernahme von Leistungen für intersexuelle Schwangere und Mütter begrüßen wir im Rahmen der familienfreundlichen Ausgestaltung, die allen Gesetzen und Verordnungen innewohnen sollte. Insbesondere begrüßen wir die geplante Rahmenvereinbarung für ambulante Kinderhospize.

Wir begrüßen ebenso die Weiterförderung der Akademisierung von Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie.

Im Gesetz gibt es darüber hinaus auch Passagen, zu denen die DGKJP als wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie aus ihrer Fachlichkeit heraus Stellung beziehen möchte. 

Zu § 75 SGB V
Absatz 1 a), Ergänzung Satz 3:

Erhebliche Bedenken haben wir gegenüber einer telefonischen Ersteinschätzung bei psychiatrischen Notfällen von Kindern und Jugendlichen. Hier ist es in aller Regel erforderlich, sowohl das Kind als auch seine Bezugspersonen – mindestens mit Videointeraktion – sehen zu können. Eine telefonische Ersteinschätzung bietet dem/der Kinder- und Jugendpsychiater*in bei Kindern und Jugendlichen, die sich verweigern oder verbal nicht differenziert ausdrücken können, zu wenig verlässliche Befundgrundlagen.
Die DGKJP ist besorgt, dass infolge dieses Abschnitts die Kassenärztlichen Vereinigungen sich nicht mehr verpflichtet sähen, bei der derzeitigen Mangelversorgung weiterhin mit aller Kraft auch in unserem Fachgebiet für die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung einzutreten.

Absatz 1 a), Ergänzung Satz 4:
Demgegenüber begrüßen wir die Regelung in § 75 SGB V, dass nach Ersteinschätzung im Krankenhaus für eine fachärztliche Weiterbehandlung keine Überweisung mehr erforderlich sein soll. Es sei darauf hingewiesen, dass es aktuell mangels der Möglichkeit eines flächendeckenden fachspezifischen Notfalldienstes durch die Vertragsärzte die Notdienste der kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken einschließlich der kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanzen sind, welche den größten Teil kinder- und jugendpsychiatrischer Notfälle behandeln, an Wochenend- und Feiertagen nahezu alle. In der Regel erfolgt eine probate Indikationsstellung zur fachärztlichen Weiterbehandlung. Darüber hinaus wären allerdings verbindliche Terminvergaben durch die Servicestellen – die leider in unserem Fachgebiet oft überfordert sind – bei Vertragsärzten wünschenswert. Besonders beklagenswert ist, dass in Einzelfällen seitens der Terminservicestellen mangels fachärztlicher Termine wiederum an psychiatrische Institutsambulanzen verwiesen wird, die Behandlung dort dann aber durch die Kostenträger in Frage gestellt wird, wenn die Einschlusskriterien für eine PIA-Behandlung nicht als erfüllt angesehen werden, z.B. hinsichtlich der Dauer der Erkrankung.

Zu § 118 (2):
„Die Vereinbarung nach Satz 2 ist spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Absatz 6b zu überprüfen und an die Festlegungen der Richtlinie dahingehend anzupassen, dass den Einrichtungen nach Satz 1 auch die Teilnahme an der Versorgung nach § 92 Absatz 6b ermöglicht wird.“

Noch deutlicher auf Seite 51 RefE: „Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung werden verpflichtet, den Vertrag nach § 118 Absatz 2 Satz 2 SGB V und die Vereinbarung nach § 118 Absatz 3 SGB V zu den psychiatrischen und psychosomatischen Institutsambulanzen an die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einer berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung psychisch Kranker anzupassen, um den psychiatrischen und psychosomatischen Institutsambulanzen – neben der Erfüllung ihrer bisherigen Aufgaben – auch eine sachgerechte Teilnahme an diesem Versorgungsbereich zu ermöglichen.“

Hierzu gibt es keine Klarstellung des Gesetzgebers, ob mit der „berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung psychisch Kranker“ nicht per se das gesamte Tätigkeitsspektrum einer kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanz bereits umfasst ist. Fast alle PIA-Fälle benötigen eine multiprofessionelle Diagnostik und Behandlung, die durch die PIA-Leitung koordiniert wird, ebenfalls Leistungen aus anderen SGB-Bereichen.

Auch wenn laut den Ausführungen des RefE auf S. 65 keine wesentliche Kostenwirksamkeit erwartet wird, muss vor einer missverständlichen Interpretation dieses Absatzes gewarnt werden. Zumal die Formulierung in § 120 (2) Satz 7 SGBV, die mit dem Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz eingeführt wurde, nicht gleichzeitig verändert und damit nicht unsere berechtigte Befürchtung geheilt wird, die künftige Finanzierung aller Tätigkeiten der PIAs solle über den EBM erfolgen. Da die Interpretation an den G-BA delegiert wird, halten wir eine gesetzgeberische Klarstellung nach wie vor für erforderlich. Weder den Stellungnahmen der Fachverbände noch den Empfehlungen der Bundesratsdrucksache 505/1/19 ist das Bundesgesundheitsministerium diesbezüglich bisher gefolgt.

Nach wie vor lautet der § 120 (2) SGB V, Satz 7: „Die Vergütung der Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen soll der Vergütung entsprechen, die sich aus der Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen nach § 87 Absatz 2a Satz 26 ergibt.“

Lösungsvorschlag:
Klarstellend wäre aus unserer Sicht, wie in unserer damaligen Stellungnahme zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz gefordert, den neuen Satz 7 in § 120 (2) wieder ganz zu streichen. Er ist, wie alle Diskussionen im Umfeld des damaligen Gesetzgebungsverfahrens gezeigt haben, hochgradig irreführend und konkurriert überdies mit dem Prüfauftrag in § 17d KHG.
Hilfsweise wäre folgende Einfügung in § 120 (2) SGBV vorzusehen: Die Vergütung der Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen für Koordinationsleistungen nach § 92 Absatz 6b soll der Vergütung entsprechen, die sich aus der Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen nach § 87 Absatz 2a Satz 26 ergibt.“.

Zu § 120 (3b):
Hier wird eine neue „Abrechnungsvoraussetzung der Leistungen von Notfallambulanzen der Krankenhäuser“ eingeführt, ohne dass die PIAs ausgenommen sind.

Wir machen darauf aufmerksam, dass die PIAs sich einer „standardisierten Ersteinschätzung des ambulanten medizinischen Versorgungsbedarfs von Hilfesuchenden, die sich an Notfallambulanzen der Krankenhäuser wenden“ weitgehend entziehen. Ob es sich bei einer Notfallvorstellung um eine Intoxikation, eine suizidale Krise oder eine psychotische Exazerbation handelt, bedarf sehr unterschiedlicher Zugänge. Keinesfalls darf eine notfallmäßige Vorstellung und Abrechenbarkeit in einer PIA von dieser Vorgabe abhängig gemacht werden, da in aller Regel eine ausführliche psychiatrische Befunderhebung und Anamnese durchgeführt werden muss, um eine korrekte Diagnose und Weiterbehandlungsindikation zu treffen.
Nachweise zur Durchführung der Ersteinschätzung müssten für den psychiatrischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich getrennt erstellt werden.

Wir möchten ferner darauf hinweisen, dass in unserem Fachgebiet rund Hälfte aller stationären Aufnahmen notfallmäßig erfolgt. Noch mehr Patient*innen werden nicht stationär, sondern ausschließlich nach Notfallvorstellung ambulant versorgt. Diese Vorstellungen nicht als PIA-Leistung vergütet zu bekommen, da ein somatischer Bogen nicht aussagekräftig ist, wäre nicht sachgerecht.

Lösungsvorschlag:
Einfügung eines Satzes: „Notfallmäßige Vorstellungen in Psychiatrischen Institutsambulanzen nach § 118 SGB V sind von dieser Regelung ausgenommen“.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. med. M. Kölch
Präsident der DGKJP