Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zu „Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen der Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen in der gesetzlichen Krankenversicherung“

Da digitale Gesundheitsanwendungen mit ihren Möglichkeiten aber auch Herausforderungen hohe Relevanz für die Prävention, Diagnostik und Behandlung von psychischen Erkrankungen insbesondere der digital affinen Kinder und Jugendlichen besitzen, messen wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft dem vorliegenden Entwurf hohe Bedeutung bei.

Generell ist die Intention des Gesetzesvorhabens zu begrüßen, transparente und verlässliche Regelungen herbeizuführen, nach denen sowohl Patienten als auch verordnende Behandler digitale Gesundheitsanwendungen in Anwendung und Wirkung einordnen können. Das Gesetzesvorhaben wird die Grundlage für einen äußerst wichtigen Entwicklungsbereich des Gesundheitssystems schaffen und eine wegweisende Orientierung für nachfolgende Regelungen erstellen.

Da ein solches von einer offiziellen und etablierten Behörde geführtes Register für die potentiellen Anwender durchaus einer Zertifizierung gleichkommen könnte, sehen wir im Sinne der gewünschten Transparenz und Verbesserung der Datensicherheit für die Anwender Änderungs- und Ergänzungsbedarf.

Grundsätzlich bitten wir in Hinblick auf Kinder und Jugendliche aber auch auf Menschen mit einer eingerichteten Betreuung eine Ergänzung des Begriffes „Patienten“ um „Patient und ggf. gesetzlicher Vertreter“.

Nachweis eines positiven Versorgungseffekts
Ein wesentlicher Inhalt des Entwurfes ist die Darstellung eines positiven Versorgungsaspektes, was vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Unzahl von nicht evaluierten digitalen Gesundheitsanwendungen für Patienten wie Behandler von erheblicher Bedeutung ist. Die DGKJP ist verwundert, dass zur Aufnahme in das geplante und von der BfArM zu verwaltende Register keine verpflichtende Vorlage eines Wirknachweises vorgesehen ist, aktuell ist eine Aufnahme zur Probe vorgesehen. Die Vorlage lediglich eines Evaluationskonzepts wäre nach dem derzeitigen Stand also ausreichend für die Aufnahme in das Register. Wir halten einen Wirknachweis nach wissenschaftlichen Maßstäben für unbedingt erforderlich vor einer Registrierung durch das BfArM, da durch die offizielle Registrierung bei den Anwendern der Eindruck einer Zertifizierung durch eine staatliche Behörde entstehen wird. Insbesondere ist aber auch absolut zu fordern, dass die digitalen Gesundheitsanwendungen im Sinne des nil nocere auch eventuelle unerwünschte Wirkungen erfassen müssen. Daher halten wir folgende Ergänzungen für dringend erforderlich:

  1. Nachweis einer wissenschaftlichen Evaluation des positiven Versorgungseffektes vor Aufnahme in das durch das BfArM geführte Register.
  2. Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse im Register als Entscheidungsgrundlage für die Anwender, sowohl Patienten als auch empfehlende/verschreibende Behandler.
  3. Die wissenschaftliche Evaluation muss auch die Erfassung von Unerwünschten Wirkungen analog der UAWs bei Arzneimitteln beinhalten. Diese müssen analog der Arzneimittel dem Patienten und empfehlenden / verschreibenden Behandler im Register informativ und geeignet für eine individuelle Risikoabschätzung zur Verfügung gestellt werden.
  4. Verbindliche Verpflichtung des Herstellers auf eine beständige Evaluation hinsichtlich eines positiven Versorgungseffektes und Veröffentlichung der Ergebnisse durch Aktualisierung des Registereintrages in einem zweijährigen Rhythmus um auch bei veränderten Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung einen tatsächlichen positiven Versorgungseffekt sicher zu stellen.

Datensicherheit, -schutz und -management
Digitale Gesundheitsanwendungen erfassen erhebliche hochrelevante Daten des Anwenders, speichern diese und werten sie aus. Im aktuellen Entwurf des Gesetzesvorhabens sind folgerichtig zahlreiche Punkte zu Datensicherheit, -schutz und Management einschließlich Löschung der Daten benannt. Da auf Grundlage dieser Daten Behandlungsempfehlungen gegeben und tatsächliche Behandlungsentscheidungen getroffen werden, sollten diese Daten auch für z. B. forensische Prüfungen zur Verfügung stehen. Daher ist aus unserer Sicht eine gesicherte Datenspeicherung durch die Hersteller analog zur Aufbewahrungspflicht in Praxen oder Krankenhäuser zu regeln. Des Weiteren dürfen Daten nur nach Einwilligung der Patienten an Dritte weitergegeben werden. Aus den bisherigen Erfahrungen mit digitalen Anwendungen wird dringend empfohlen, eine Verpflichtung zur Offenlegung jeglicher Datenweitergabe gegenüber dem Patienten festzulegen.

Generell kann es bei Minderjährigen, insbesondere bei Minderjährigen mit psychischen Erkrankungen, konfligierende Interessen zwischen Patienten und Sorgeberechtigten geben. Dies ist bei möglichen Regelungen zu beachten.

Daher halten wir Ergänzungen des §5 Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit für dringend erforderlich, die eine Aufbewahrungspflicht der erhobenen Gesundheitsdaten für den Hersteller festlegt. Diese sollte analog zu den bisherigen Regelungen für Praxen / Kliniken erfolgen. Im Falle von forensischen Fragestellung Verpflichtung zur Bereithaltung und Offenlegung der Daten sowie Algorhythmen für den Zeitraum der Aufbewahrungspflicht.

Unser Formulierungsvorschlag lautet:
„Die Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen sind verpflichtet, die Aufbewahrung der durch die Anwendung erhobenen Daten über mindestens zehn Jahre sicherzustellen. Im Falle von forensischen Fragestellungen sind die Hersteller verpflichtet, sowohl die Daten als auch eingesetzte Algorhythmen offenzulegen.“

Des Weiteren halten wir für die Transparenz hinsichtlich des Umgangs mit den Daten eine aktive Offenlegung einer Datenweitergabe gegenüber dem Patienten für notwendig. Dabei muss in verständlicher Form die Art der Daten sowie der Nutzen der Datenweitergabe dargelegt werden.

Unser Formulierungsvorschlag lautet:
„Die Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen sind verpflichtet, jeglicher Datenweitergabe an Dritte gegenüber dem Patienten mit für die Zielgruppe der betreffenden Anwender verständlicher Beschreibung der Art der Daten aktiv offenzulegen.“

Im Folgenden benennen wir weitere Punkte in §5 Abs. 2, die aus unserer Sicht spezifiziert und ergänzt werden sollten:

Zu §5 Abs 1:
Bezieht diese Regelung explizit auch Videokommunikationssysteme für Videosprechstunden mit ein? Aus unserer Sicht wäre dies im Sinne der Patienten und Behandler notwendig.

Zu §5 Abs. 4:
„Eine Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken ist ausgeschlossen.“ Hier schlagen wir folgende Änderung vor:

Unser Formulierungsvorschlag lautet:
„Eine Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken sowie der Verkauf der Daten sowie sonstige nicht vom Patienten autorisierte kommerzielle Nutzung von Daten ist ausgeschlossen.“

Zu §18:
Unter Absatz 2 wird festgelegt, dass von den in §§ 16 und 17 festgelegten Bedingungen durch das BfArM abgewichen werden kann. Dies stellt aus unserer Sicht eine absolute Öffnungsklausel dar, die es ermöglicht, auch ohne Wirknachweis eine Anwendung in das Register aufnehmen zu können. Aus unserer Sicht ist diese Öffnungsklausel nicht erforderlich und hat das Potential die Bemühungen dem Anwender effektive Interventionen kenntlich zu machen zu konterkarieren. Wir halten daher Absatz 2 für verzichtbar. Sollte der Gesetzgeber dennoch eine Öffnungsklausel für erforderlich halten, so wird dringend empfohlen, eine durch den Gesetzgeber klar definierte Ausgangsbedingung herzustellen.

Wir halten das Gesetzesvorhaben für einen wichtigen Schritt in der Ordnung und Etablierung der digitalen Gesundheitsanwendungen in unserem Versorgungssystem und freuen uns, wenn wir als DGKJP einen Beitrag zur gelingenden Gesetzesfassung beitragen können.

Berlin, 17.02.2020

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
„Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“

Generell ist die Intention des Gesetzesvorhabens zu begrüßen, dass Kinder mit unklarer Geschlechtszuordnung bei Geburt keiner „angleichenden“, d. h. „geschlechtszuweisenden“ Operation unterzogen werden dürfen, wir begrüßen auch, dass dieses Vorgehen künftig strafbewehrt sein soll.

Einen Änderungs- oder Ergänzungsbedarf sehen wir jedoch in Hinsicht auf die Frage der Sachverständigengutachten und die Frage der Ausdehnung der Regelung auf transsexuelle Kinder und Jugendliche.

Zur Frage der Sachverständigengutachten
Die DGKJP ist sehr verwundert, dass für Sachverständigengutachten nach dem Wortlaut des Art. 2 Punkt 2, Einfügung § 163 c), ausschließlich Ärzte benannt sind, die „Erfahrung mit operativen Eingriffen an den inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen eines Kindes haben“ müssen. Das schließt Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (zumindest nach der gültigen Musterweiterbildungsordnung) aus. Die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit wird nach dem Wortlaut des Paragraphen ausschließlich den Familienrichterinnen und -richtern und der Einschätzung operativ erfahrener Ärzte auferlegt. Eine abweichende Konkretisierung in der Begründung erfolgt nicht. Dabei dürfte im Falle etwa von Intelligenzminderung (häufig mit Fehlbildungen und Intersexualität koinzident) oder im Falle von sekundären psychischen Störungen (ebenfalls mit Intersexualität häufig koinzident, nicht zuletzt infolge der noch nicht durchgehend auf Diversität eingestellten sozialen Umgebungen) die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit Jugendlicher für die damit befassten Familienrichterinnen und -richter ohne jugendpsychiatrische Expertise sehr schwierig und fehlerbehaftet sein.

Wir halten in den Fällen, in denen eine psychische Beeinträchtigung oder gar Erkrankung manifest ist oder auch nur droht, kinder- und jugendpsychiatrische Expertise im familiengerichtlichen Verfahren für unabweisbar. Zwar sind Familienrichter frei in ihrer Entscheidung, zusätzliche Sachverständige beizuziehen, jedoch bedürfte es aus unserer Sicht einer gesetzlichen Klarstellung dahingehend, dass je nach Lage des Einzelfalls die Aufzählung der Sachverständigen seitens des Gesetzgebers nicht abschließend gemeint ist.

Formulierungsvorschlag:
Einfügung hinter „Der Sachverständige muss über eine ärztliche Berufsqualifikation verfügen und Erfahrung mit operativen Eingriffen an den inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen eines Kindes haben“:
„und/ oder über eine einschlägige kinder- und jugendpsychiatrisch-psychotherapeutische Expertise verfügen.“

Zur Ausdehnung des Regelungsentwurfs auf transsexuelle Kinder und Jugendliche
Transsexuelle Kinder und Jugendliche werden ausdrücklich erwähnt. S.11: „Dabei soll das Verbot nicht auf „geschlechtsangleichende“ Operationen, das heißt solche zur Beendigung eines Zustands der geschlechtlichen Uneindeutigkeit beschränkt werden. Vielmehr soll es im Sinne einer allgemein kindesschutzrechtlichen Regelung auf alle „geschlechtsverändernden“ Operationen und damit auf jede Änderung von jedem Geschlecht hin zu einem jeweils anderen erstreckt werden.“ In der gesetzlichen Begründung (S. 18) findet sich zusätzlich die Erwähnung der Anzahl der Diagnosen von Transsexualität bei Kindern und Jugendlichen (bb) sowie der Anzahl durchgeführter geschlechtsverändernder Operationen. (S.18, cc).

Wir begrüßen ausdrücklich, dass der familiengerichtliche Schutz auch auf minderjährige Personen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung ausgedehnt werden soll.

Allerdings ist nach dem aktuellen Wortlaut des Referentenentwurfs davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Meinung ist, dass ein 14jähriges Kind sich auch bei Vorliegen einer Transsexualität eigenständig zu einer geschlechtsumwandelnden Operation entschließen und einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht stellen kann – das darüber hinaus auch noch mit nur einem kinderchirurgischen Sachverständigengutachten, wie weiter oben diskutiert. Diese Möglichkeit trifft unsererseits auf erhebliche fachliche Bedenken.

Wir halten sowohl den Zeitpunkt von 14 Jahren für die Einwilligungsfähigkeit zu einer Transgender-Operation in dieser Allgemeinheit für zu früh, als auch die isolierte Hervorhebung der Operation für fachlich nicht geboten.

  • Die Einwilligungsfähigkeit muss die Tragweite des Eingriffs abschätzen. Mit 14 Jahren ist sexuelles Erleben eben erst im Entstehen, und die Auseinandersetzung mit einer Transsexualität kann durchaus noch ambivalent sein, d. h. die transsexuelle Identifizierung ist in vielen Fällen im Rahmen der steigenden Prävalenz noch nicht eindeutig. Ob eine wahre Transsexualität vorliegt und nicht nur eine „Geschlechtsunzufriedenheit“ infolge pubertärer Konfliktlagen, muss nach allgemeinem fachlichen Konsens per se ein Facharzt oder eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, idealerweise in einer spezialisierten Beratungsstelle, feststellen.
  • Ansonsten gilt für die Einwilligungsfähigkeit das unter 1. gesagte – es muss im Fall einer psychiatrischen Erkrankung auf jeden Fall ein jugendpsychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt werden.
  • Auch im Falle einer Geschlechtsidentitätsstörung sind vor eine geschlechtsangleichende Operation erst die Schritte pubertätsunterdrückender Hormontherapie und gegengeschlechtlicher Hormontherapie gestellt, parallel dazu bisher eine Phase an Psychotherapie zur Unterstützung der Identitätsentwicklung und außerdem mindestens ein Jahr mit probatorischem Leben in der transgender-Zuordnung zur Realitätsüberprüfung, so dass eine Einwilligungsmöglichkeit mit bereits 14 Jahren in eine geschlechtsumwandelnde, finale Operation und deren Durchführung in diesem Alter bereits in Anbetracht der etablierten fachlich-klinischen Abläufe, die ihre eigene Zeit benötigen, obsolet ist. Eine Expertise der Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum Thema wurde erst im November 2019 veröffentlicht (Aktenzeichen WD 9 – 3000 – 079/1 vom 15.11.2019) und verhält sich zu geschlechtsangleichenden Operationen bei Genderdysphorie analog (S. 40 f) so, dass diese nach derzeitigem − wenngleich unzureichendem − wissenschaftlichem Kenntnisstand nur in klinischen Ausnahmefällen allenfalls ab dem Alter von 16 Jahren durchgeführt werden sollen. Eine S3-Leitlinie unter Federführung unserer Fachgesellschaft zum Thema der diagnostischen und therapeutischen Vorgehensweisen bei Transgender-Jugendlichen ist bei der AWMF angemeldet und derzeit in Arbeit.

Ob nun eine geschlechtsverändernde Operation ab dem Alter von 16 Jahren erfolgen können darf − mit familiengerichtlicher Zustimmung und selbstverständlich einem kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachten – oder ob nicht eher, wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages referiert, das Alter von 18 Jahren dafür maßgeblich sein sollte, ist zusammenfassend derzeit fachlich nicht fundiert zu befinden. Hier überwiegt der Einzelfall. Keinesfalls jedoch ist das Alter von 14 Jahren dafür als adäquat anzunehmen.

Daher plädieren wir dafür, Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörung zumindest aus der altersbezogenen Regelung herauszunehmen und den Regelungsvorschlag ab dem Alter von 14 Jahren ausschließlich auf Kinder mit uneindeutiger Geschlechtszugehörigkeit zu beziehen.

Formulierungsvorschlag:
Aufnahme einer Formulierung unter „Ziele“ – oder hilfsweise in die Begründung:

„Eine feste Altersgrenze für die Einwilligungsfähigkeit in eine geschlechtsumwandelnde Operation bei Jugendlichen mit Geschlechtsidentitätsstörung verbietet sich nach heutiger Kenntnis. Sie unterliegt ebenfalls einer familiengerichtlichen Zustimmung, erfordert jedoch eine zusätzliche sachverständige Begutachtung durch einen diesbezüglich ausgewiesenen Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie.“

Positionspapier zu medienbezogenen Störungen im Kindes- und Jugendalter

 

Vor dem Hintergrund steigender Nutzungsintensitäten digitaler Medien bei Kindern und Jugendlichen gewinnen medienbezogene Störungen eine zunehmende Bedeutung für diese Altersgruppe. Das Evidenzpapier der Gemeinsamen Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und Verbände (DGKJP, BAG KJPP, BKJPP) im Kindes- und Jugendalter beschreibt die Hintergründe dieser neuen Störungsgruppe und leitet Forderungen zur Prävention und Versorgung ab. Im Folgenden werden die zentralen Inhalte und Forderungen zusammengefasst:

  1. Der Gebrauch digitaler Medien ist aus dem heutigen Zeitalter nicht mehr wegzudenken. Digitale Medien bieten durch den Zugang zu einer Vielzahl von Informationen und der Möglichkeit des breiten Austausches immense Chancen. Gleichzeitig beinhalten sie eine Vielzahl von positiven Verstärkern zur Intensivierung der Nutzung und sprechen typische Entwicklungsaufgaben des Kindes- und Jugendalters an: z.B. Entdeckung neuer Welten, komplexe Interaktionen, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gemeinschaft, zielgerichtete Aufgabenbewältigung, Möglichkeiten der eigenen Gestaltung, Messen eigener Fähigkeiten im Wettbewerb.
  2. Auf der Grundlage neu entstandener Lebenswelten bergen digitale Medien für eine Gruppe von Nutzern Risiken in Bezug auf einen übermäßigen Gebrauch oder gar die Entstehung einer Sucht. Aus entwicklungspsychologischer Sicht gab es in den letzten Jahrzehnten keinen im Ausmaß vergleichbaren neu aufgetretenen Einflussfaktor auf die Kindheit und Adoleszenz.
  3. Die Gemeinsame Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und Verbände begrüßt ausdrücklich die erstmalige Aufnahme einer medienbezogenen Störung in die ICD-11 der WHO: die Computerspielstörung bzw. eng. Gaming Disorder. Gleichzeitig hält sie die Beschränkung auf die Computerspielstörung als bislang einzige Störung für zu eng gefasst und schlägt den übergeordneten Begriff der medienbezogenen Störungen vor. Innerhalb der medienbezogenen Störungen sind unterschiedliche anwendungsbezogene Störungen zu unterscheiden (z.B. Computerspielstörung, Social-Media-Sucht).
  4. Digitale Medien gehen bei etwa 3 bis 5% der deutschen Kinder und Jugendlichen mit einem pathologischen Nutzungsverhalten einher. Die diagnostischen Kriterien orientieren sich dabei an denjenigen für stoffgebundene Süchte. Dabei ist nicht die konkret aufgewandte Zeit für den Mediengebrauch für die Diagnosestellung entscheidend, sondern dessen negative Auswirkungen (gedankliche Vereinnahmung durch das Medium, Reizbarkeit bei Nichtnutzung, Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, Verlust an sonstigen Interessen, Fortsetzung trotz negativer Konsequenzen, Täuschen von Angehörigen und Freunden bzgl. der Nutzungsintensität, Nutzung zur Stimmungsregulation und Gefährdung wichtiger Lebensinhalte, insbesondere Schule und Sozialkontakte).
  5. Medienbezogene Störungen betreffen insbesondere vulnerable Gruppen, auf die i.d.R. mehrere der folgenden Charakteristika zutreffen:
    Analog den stoffgebundenen Süchten biologisch bedingte Anfälligkeit, z.B. im Hirnstoffwechsel
    – Individuelle Besonderheiten wie erhöhter Neurotizismus, erhöhte Ängstlichkeit, erhöhte Stressempfindlichkeit und nicht hilfreiche Strategien im Umgang mit Problemen, geringere Gewissenhaftigkeit, negatives Selbstkonzept sowie soziale Unsicherheit
    – Niedrige Familienfunktionalität sowie negative Sozialisationserfahrungen mit z.B. abwertendem Kommunikationsstil und Interaktionsstörungen
    – Negative Rollenvorbilder durch riskante Nutzungsmuster in der Familie, negativer Einfluss der Gleichaltrigengruppe
    – soziale, emotionale und kognitive Entwicklungsdefizite
    – psychiatrische Grund- oder Begleiterkrankungen wie ADHS, Depression, Angststörungen
  6. Bei Vorliegen einer medienbezogenen Störung ist eine kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Beratung und/oder Behandlung notwendig.
    – Voraussetzung für die Therapie ist eine frühe und fachgerechte Diagnostik der Symptomatik inklusive Grund- und/oder Begleiterkrankungen.
    – Die Schaffung eines Problembewusstseins ist unabdingbar und dient der rechtzeitigen Inanspruchnahme von Behandlung.
    – Das primäre Ziel ist hierbei die Symptomreduktion und die Verbesserung seelischer Gesundheit und sozialer Teilhabe.
    – Eine vollständige Abstinenz von digitalen Medien ist aufgrund ihrer allgegenwärtigen Präsenz und wichtigen Funktionen in Alltag, Schule, Beruf nicht möglich.
    – Die Angebotsstruktur für die Erkennung und Behandlung medienbezogener Störungen ist in Deutschland unzureichend. Zur Verbesserung der Behandlungskompetenz bedarf es spezialisierter Fort- und Weiterbildungen.
    – Die Vermittlung von Medienkompetenz ist einer von mehreren Behandlungsbausteinen.
    – In Abhängigkeit vom Schweregrad der medienbezogenen Störung sowie der Grund- bzw. Folgeerkrankungen können ambulante, teilstationäre oder stationäre kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Therapiemaßnahmen ggf. mit anschließender Rehabilitation notwendig sein.
    – Für einen optimalen und andauernden Therapieerfolg ist eine ausreichende Behandlungsdauer essentiell, um emotionale, soziale und kognitive Nachreifungsprozesse zu ermöglichen, Kompetenzen zu vermitteln und begleitende Störungen zu behandeln.
  7. Präventive Maßnahmen sind weiter auszubauen.
    – Die Politik muss durch gezieltes Eingreifen einen gesunden Umgang mit Medien unterstützen. Entwickler und Anbieter medialer Angebote müssen verpflichtet werden, Möglichkeiten der elterlichen Kontrolle (z.B. in Bezug auf Nutzungszeiten) zu integrieren. Anwender sozialer Medien müssen bzgl. der Darstellung selbst- und fremdschädigender Verhaltensweisen besser geschützt werden; suchtfördernde Verstärkungsmuster in Games müssen gesetzlich eingeschränkt werden. Altersfreigaben müssen sich am Jugendschutz orientieren und stärker kontrolliert werden.
    – Verhaltensprävention sollte mit der Stärkung der Vorbildfunktion der Eltern ab der Geburt des Kindes beginnen. Es müssen gezielte Angebote zur Förderung elterlicher Erziehungskompetenz in Bezug auf Medien zur Verfügung gestellt werden.
    – Eine unkontrollierte Nutzung mobiler digitaler Endgeräte während des Schulunterrichts ist zu verhindern.
    – Kindbezogene Maßnahmen müssen sich an den Entwicklungsphasen der Kinder/Jugendlichen orientieren und individuelle Aspekte berücksichtigen (wie z.B. Geschlecht, Entwicklungsalter, sozialer Hintergrund, Bildungshintergrund).
    – Aufgrund eines erhöhten Risikos für die Entwicklung einer medienbezogenen Störung von Kindern und Jugendlichen ist die Vermittlung von Medienkompetenz unerlässlich.

Die Gemeinsame Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und Verbände empfiehlt:
• Bis zum Schulbeginn sollen Kinder nur analog und nicht mit Hilfe digitaler Medien lernen und spielen. Dies schließt die erste kindgerechte Vermittlung von Medienkenntnissen im Vorschulalter nicht aus.
• Vor Besuch der 5. Klasse sollten die Kinder kein eigenes Smartphone besitzen. Danach sollte die Nutzung unter elterlicher Steuerung, Aufsicht und Medienkompetenzvermittlung (zeitlich und inhaltlich) erfolgen.
• Für die Nutzung von PC, Spielekonsolen, Spiele am Smartphone und sozialer Netzwerke sowie für den Konsum von Serien, Filmen, Clips sollten folgende Zeiten gelten:

  • max. 45 Minuten am Tag für Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren bzw. max. eine Stunde für Kinder im Alter von 11 bis 13 Jahren und max. 1,5 Stunden am Tag für Kinder ab 14 Jahren
  • PC im eigenen Zimmer: frühestens ab 12 Jahren, Regeln vereinbaren und kontrollieren (z. B. nicht nachts spielen)
  • Internetzugang nicht unter 8 Jahren, ab 8 Jahren nur für Kinder geeignete Seiten unter Aufsicht, ab 12 Jahren auch alleine
  • Chatten: nicht unter 8 Jahren, ab 8 Jahren nicht ohne Kontrolle und nur für Kinder geeignete Angebote, ab 11 Jahren Regeln vereinbaren und kontrollieren

Erstellt durch die Suchtkommission der deutschen kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaft (BAG KJPP, BKJPP, DGKJP):

Herr Prof. Dr. Rainer Thomasius, Vorsitz (DGKJP)
Herr Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann (DGKJP)
Herr Dr. Peter Melchers (BAG)
Frau Dr. Marianne Klein (BAG)
Frau Dr. Gisela Schimansky (BKJPP)
Herr Thomas Krömer (BKJPP)
Herr PD Dr. Olaf Reis (assoziiertes Mitglied)

Gastautorin: Kerstin Paschke

E-Zigaretten erhöhen Einstiegsrisiko bei Jugendlichen für Zigaretten-Rauchen.
Umfassendes Werbeverbot für E-Zigaretten und für alle Tabakprodukte notwendig.

 

E-Zigaretten sind für Kinder und Jugendliche besonders gefährlich. Mit der E-Zigarette werden nach Auffassung der deutschen Kinder- und Jugendpsychiater die großen Erfolge der Tabakprävention der letzten Jahre unterlaufen und in ihr Gegenteil verkehrt. Das von der Bundesregierung geplante Tabakwerbeverbot muss zum Schutz von Kindern und Jugendlichen daher auch für E-Zigaretten gelten.

Es gibt weiter einen Rückgang des Tabakkonsums bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen, aber wir erkennen bei den E-Zigaretten einen klaren Aufwärtstrend bei Jugendlichen (1, 2). Um das Risiko dieser Entwicklung zu verstehen, müssen die Besonderheiten der jungen Altersgruppe berücksichtigt werden: Während E-Zigaretten manche Erwachsene gegebenenfalls dabei unterstützen können, zeitweise auf Tabakprodukte zu verzichten, erhöhen sie für Kinder und Jugendliche das Einstiegsrisiko für das Rauchen von Tabakzigaretten. So experimentieren junge Nie-Raucher häufiger mit konventionellen Zigaretten, wenn sie zuvor E-Zigaretten konsumiert haben (3). Dieser Einfluss fällt vor allem in der Gruppe derjenigen Jugendlichen auf, die an sich ein generell niedrigeres Risiko haben, überhaupt mit dem Rauchen zu beginnen (4).

Die Art der Werbung für E-Zigaretten spricht junge Menschen besonders an. Jugendliche werden durch die Aufmachung der Werbung, „trendige“ Produkte mit puristischem Design und den aromatischen Geschmack zum Konsum animiert. Werbung für E-Zigaretten führt bei Jugendlichen nachweislich auch zu mehr Konsum von E-Zigaretten (5-7). E-Zigaretten verharmlosen Gefahren des Nikotinkonsums, indem sie Warnsignale herkömmlicher Zigaretten (bitterer Geschmack, Rauch) überstrahlen oder unterdrücken. Die habituelle Verknüpfung vermeintlich „cleaner“ Produkte mit modernem Lifestyle und Werten wie Gesundheit, Gemeinschaftserleben und Leistungsfähigkeit muss als besonders gefährlich angesehen werden. Für Jugendliche sind E-Zigaretten aber eben nicht harmlose Lifestyle-Produkte und auch nicht die „beste Alternative zur Zigarette“. Die von den Herstellern propagierte Botschaft von der „rauchfreien Zukunft“, gekoppelt mit neuen Produkten und intensiver Werbung, gefährdet die Erfolge der Tabakprävention der letzten Jahre. Innovative Prävention muss über dieses Zerrbild des „gesunden Rauchens“ aufklären.

In den USA hat die Zahl Minderjähriger, die E-Zigaretten nutzen, bereits dramatisch zugenommen. Neben diesem Trend lösen in den letzten Monaten Berichte aus den USA über Gesundheitsschäden und Todesfälle nach dem Konsum von E-Zigaretten große Besorgnis aus.

Die Suchtkommission der deutschen kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaft spricht sich für ein striktes und umfassendes Werbeverbot für E-Zigaretten und für alle Tabakprodukte aus und plädiert für wirksame Maßnahmen zur Durchsetzung des Jugendschutzgesetzes sowie für eine unabhängige Erforschung der Risiken der E-Zigaretten.

Literatur:

Die benannte Literatur finden Sie im Dokument Positionspapier E-Zigarette.

Erstellt durch die Suchtkommission der deutschen kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaft (BAG KJPP, BKJPP, DGKJP):

Herr Prof. Dr. Rainer Thomasius, Vorsitz (DGKJP)
Herr Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann (DGKJP)
Herr Dr. Peter Melchers (BAG)
Frau Dr. Marianne Klein (BAG)
Frau Dr. Gisela Schimansky (BKJPP)
Herr Thomas Krömer (BKJPP)
Herr PD Dr. Olaf Reis (assoziiertes Mitglied)

Stellungnahme zum Referentenentwurf der Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (PsychTh-ApprO)

Die DGKJP begrüßt es, dass das BMG einen Referentenentwurf der Approbationsordnung vorlegt, die es erlaubt, konkreter die Planungen für die Ausgestaltung des neuen Studiengangs „Psychotherapie“ vorzunehmen.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass in dem Referentenentwurf versucht wurde, eine Balance herzustellen zwischen der Definition von ausreichenden Qualifizierungsmerkmalen, die für die Ausübung eines Heilberufs notwendig sind und andererseits auch der Wissenschaftlichkeit, die von einem Studiengang mit Masterabschluss erwartet werden kann. Ebenfalls begrüßen wir es, dass als Ziel der Neuregelung explizit die altersgruppenübergreifende Qualifizierung benannt wird, was bedeutet, dass zukünftig alle Studierenden auch die Diagnostik und Behandlung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen während der Berufsqualifizierenden Tätigkeit III praktisch kennenlernen.

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass durch den Zeitdruck, im WS 20/21 mit einem komplett neuen Studiengang starten zu wollen, die Gefahr besteht, dass die notwendige vertiefte Diskussion über Inhalte des Psychotherapiestudiums nicht adäquat geführt werden kann. Im Vergleich wird in der Medizin eine umfangreiche langanhaltende Diskussion um „kompetenzbasierte Lernziele“ als Grundlage der Approbationsordnung geführt, in welche alle Fächer intensiv einbezogen werden. Wir möchten deshalb anregen, dass auch für das neue Approbationsstudium „Psychotherapie“ eine Diskussion unter Einbezug aller beteiligten Fächer geführt wird, die die vielschichtigen Qualifikationsmerkale von Psychotherapeuten sicherstellt und zukünftig eine dynamische Weiterentwicklung des Faches gewährleistet.

Wir sehen insbesondere noch Nachbesserungs- und Spezifizierungsbedarf in den folgenden Bereichen:Klarere Definition von kinderspezifischen Qualifizierungsmerkmalen: Aus Sicht derjenigen Verbände, die auch zukünftig für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen die Verantwortung tragen, sind wir besorgt darüber, wie wenig altersbezogene Qualifikationsmerkmale der zukünftigen Psychotherapeuten spezifiziert werden. Abgesehen davon, dass erst in der fallbezogenen Lehre im Master-Studienabschnitt auch die Vermittlung von Wissen über psychotherapeutische Behandlungsformen nach Zielgruppen (Kinder und Jugendliche) genannt wird und nur in der berufsqualifizierenden Tätigkeit III 5 ECTS im Kinder- und Jugendbereich zu absolvieren sind, sind in der Approbationsordnung die Qualifizierungsmerkmale von Psychotherapeut*innen des Kindes- und Jugendalters zu wenig repräsentiert. Wir fordern, dass diese Zeitanteile entsprechend der demographischen Verteilung bestimmt werden, 20-30 % aller Studieninhalte müssten sich mit der spezifischen Untersuchungs- und Behandlungstechnik bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen sowie mit Familiendynamik, Einbeziehung von Bezugspersonen, und Versorgungssystemen für das Kindes- und Jugendalter.

  • Vermittlung von medizinischen und pädagogischen Grundlagen: Insgesamt ist die Vermittlung von Basiswissen in Medizin und Pädagogik stark unterrepräsentiert und mit 82 (Psychologie): 4 (Medizin): 4 (Pädagogik) ECTs unverhältnismäßig verschoben zu Gunsten einer Vermittlung von psychologischem Wissen. Diese Verteilung ist angesichts des Ziels, ein eigenständiges Studium für „Psychotherapie“ (und nicht für „psychologische Psychotherapie“) zu etablieren, in welches verschiedene Wissenschaften gleichermaßen einfließen, nicht nachvollziehbar. Es sollte eine stärkere Vermittlung von pädagogischen und medizinischen Grundlagen, auch bereits im Bachelor-Studiengang erfolgen. Dazu gehören letztlich auch erwachsenenpädagogische Ansätze, v.a. auch für diejenigen Studierenden, die sich entscheiden, nicht in ein Masterstudium überzugehen. Medizinische Grundlagen sind stärker zu gewichten, mit mindestens acht anstelle von vier ECTs. Neben den aufgelisteten Themen im Bereich Medizin müssten die Fächer Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie als eigenständige ärztliche Fachgebiete unbedingt mit einem eigenen Schwerpunkt und separaten ECTS bedacht werden. Wir fordern einen Lehranteil für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ -psychosomatik von mindestens 2 ECTs.
  • Präzisierung der Ziele des Approbationsstudiums: Wir halten die Formulierung auf Seite 1 für missverständlich: Hier steht im ersten Abschnitt A. „Problem und Ziel“: „an die Stelle der bisherigen postgradualen Ausbildung tritt ein Studium, das zur Erteilung der Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut führt, …“ Es sollte heißen: „… an die Stelle der bisherigen postgradualen Ausbildung tritt eine postgraduale Weiterbildung. Anstelle der Studiengänge, die bisher Voraussetzung für die Zulassung zur postgradualen Ausbildung waren (Psychologie für psychologische Psychotherapeuten und Psychologie/ Pädagogik/ Sozialpädagogik für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten) tritt ein Studium, das zur Erteilung der Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut führt und Voraussetzung zum Zugang zur vertieften verfahrensspezifischen postgradualen Weiterbildung ist.
  • Analoge Qualifizierung in diagnostischen und in psychotherapeutischen Kompetenzen: Bei den „Zu erwerbende Kompetenzen im Masterstudiengang, Seite 57 ff., ist darauf zu achten, dass mindestens so viele ECTs im Bereich für angewandte Psychotherapie (momentan 5 ECTs) wie für Diagnostik (momentan 7 ECTs) vorgesehen sind. Wir schlagen eine Gleichverteilung von jeweils 6 ECTs vor.
  • Verlängerung der berufsqualifizierenden Tätigkeitszeiten: Die im Referentenentwurf vorgeschlagene Verlängerung der Studiendauer um drei Monate über die Regelstudienzeit für Masterstudiengänge hinaus, um die Zeitspanne für die Approbationsprüfung zu berücksichtigen, könnte optimal für eine Ausweitung der berufsqualifizierenden Tätigkeitszeiten genutzt werden. Diese halten wir mit insgesamt 840h immer noch für unzureichend. Die Spezifizierung der Forschungspraktikumszeiten (von insgesamt 330h) sind zwar zur Sicherstellung der Psychotherapieforschung sehr wünschenswert, tragen aber nur geringfügig zur konkreten Qualifizierung in der Ausübung einer heilkundlichen Tätigkeit bei.
  • Klarerer Verfahrensbezug: Insgesamt ist der Teil der berufspraktischen Anwendungen und auch der Theorie „verfahrensneutral“ beschrieben. Da aber das Studium einen Einblick in die wissenschaftlich gesicherten und sozialrechtlich anerkannten Verfahren geben soll, ist dies auch in der Approbationsordnung sicherzustellen. Es ist deshalb die Vermittlung von Grundlagen aller verschiedenen verfahrensspezifischen Kenntnisse und Kompetenzen aufzunehmen. Dabei können unterschiedliche Studiengänge zwar Schwerpunkte bilden, jedoch sollten theoretischer Bezug, therapeutische Basiskompetenzen, Störungsmodelle und psychotherapeutische Methoden aller anerkannten Verfahren gelehrt werden. Zu ergänzen ist daher auf folgenden Seiten:

– S. 15 unter Die berufsqualifizierende Tätigkeit III – angewandte Praxis der Psychotherapie (Masterstudium) … heißt es: (2) „Hierzu sind sie an der Diagnostik und der Behandlung von Patientinnen und Patienten unter Anwendung von mindestens drei anerkannten psychotherapeutischen Verfahren und Methoden zu beteiligen indem sie “

– Und folgend: „Anamnesen und psychodiagnostische Untersuchungen unter Anleitung … bei mindestens zehn Patientinnen und Patienten verschiedener Altersgruppen aus mindestens vier verschiedenen Störungsbereichen unter Anwendung von mindestens in drei anerkannten Verfahren angewandten Methoden.“

– Seite 16: 3. müsste heißen: „an mindestens zwei weiteren einzelpsychotherapeutischen Patientenbehandlungen …, mit unterschiedlichen Indikationsstellungen und unterschiedlichen Verfahrensansätzen …“

– Seite 58 – angewandte Psychotherapie, erster Punkt: Die „Behandlungsplanung gemäß den unterschiedlichen Behandlungssettings“. Die verschiedenen Settings sind wichtig, jedoch unterscheiden sich die Behandlungsplanungen im Zusammenhang mit verschiedenen Verfahren noch erheblicher, so dass es heißen müsste, „…, Behandlungsplanung auch gemäß verschiedener Verfahrensansätze zu konzipieren und je nach Setting mit anderen Berufsgruppen kooperieren zu können“.

– Seite 60 f. unterster Abschnitt zur berufsqualifizierenden Tätigkeit 2, 6. Unterpunkt (auf Seite 61) „Patientinnen und Patienten das Behandlungsrational unterschiedlicher psychotherapeutischer Behandlungsmethoden zu vermitteln“ sollte umformuliert werden: … Patientinnen und Patienten das Behandlungsrational der unterschiedlichen psychotherapeutischen Behandlungsverfahren und ihrer Methoden zu vermitteln.

Berlin, 12.11.2019

APPELL
Exklusion beenden: Kinder‐ und Jugendhilfe für alle jungen Menschen und ihre Familien!

Deutschland feiert aktuell zehn‐jähriges Jubiläum des Inkrafttretens der menschenrechtlichen Verpflichtungen aus der UN‐Behindertenrechtskonvention.Wie viel Grund zu feiern es gibt, variiert nach Lebensbereichen wie auch jeweiliger Perspektive. Mit der Reform durch das Bundesteilhabegesetz in der letzten Legislaturperiode wollte der Gesetzgeber die Rechte von Menschen mit Behinderungen weiter stärken. In diesem Prozess ausdrücklich ausgenommen war die Hilfeperspektive von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Die Aufhebung der in Deutschland nach wie vor bestehenden und seit Jahrzehnten kritisierten Aufteilung von Kindern und Jugendlichen in unterschiedliche Zuständigkeiten je nach Behinderungsform
sollte einem eigenen Reformprozess vorbehalten bleiben. Dieser blieb aus und ist überfällig.

Denn Deutschland unterscheidet auch im Jahr 2019 trotz UN‐Behindertenrechtskonvention und Grundrecht auf Gleichbehandlung immer noch künstlich zwischen „Jugendhilfe“‐Kindern und „Eingliederungshilfe“‐ Kindern. Junge Menschen ohne Beeinträchtigungen oder mit einer seelischen Behinderung unterfallen dem Hilfesystem des SGB VIII und damit der Zuständigkeit des Jugendamts, junge Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen hingegen in das Hilfesystem des SGB XII und damit der Zuständigkeit der Eingliederungshilfe. Aufgrund der hierdurch entstehenden Zuständigkeitsstreitigkeiten werden viele Kinder, Jugendliche und Familien nicht nur zwischen den Behörden hin und her geschoben, erhalten keine, verspätet
oder nur unzureichend Hilfen. Die rechtlich gezogenen Trennlinien sind zudem mit einer ganzheitlichen Wahrnehmung von Menschen nicht vereinbar. So ist bspw. in jeder Hinsicht inakzeptabel, dass das Sozialrecht den jeweiligen IQ‐Wert von Kindern und Jugendlichen zum prägenden Merkmal erhebt, weil sich danach die behördliche Zuständigkeit entscheidet. Bei einem Wert von 69 und darunter ist die Eingliederungshilfe, bei einem Wert von 70 und darüber die Kinder‐ und Jugendhilfe zuständig.

Eine Zuordnung ins jeweilige System hat erhebliche Auswirkungen. Vier lebensnahe Beispiele zur  Veranschaulichung:

J O N A S ist schwerst mehrfach behindert zur Welt gekommen. Seitdem kümmern sich seine Eltern abwechselnd um seine Versorgung und Betreuung und werden dabei von einem ambulanten Pflegedienst unterstützt. Als Ben – Jonas drei Jahre älterer Bruder – zunehmend aggressiver wird, spüren die Eltern, dass sie als Eltern dringend familienentlastender Unterstützung bedürfen, insb. auch um sich um Bens Bedürfnissen wieder stärker widmen zu können. Der von ihnen um Hilfe ersuchte Träger der Eingliederungshilfe weist jedoch dieses Begehren mit der Begründung zurück, er sei ausschließlich für die
aus der Behinderung von Jonas resultierenden Bedarfe zuständig. Für alles andere müssten sie sich an das Jugendamt wenden.

L I N A ist mit einem fetalen Alkoholsyndrom (FASD) geboren, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft getrunken hat. Das Jugendamt hat sie in einer Pflegefamilie untergebracht. Lina war von Anfang an entwicklungsverzögert, inzwischen zeigen sich jedoch deutliche Lernschwierigkeiten. Eine IQ‐Testung im Alter von fünf Jahren ergab einen Wert von 73. Als sich bei einer erneuten Testung mit 7 Jahren ein IQ‐Wert von 68 ergibt, gibt das Jugendamt die Zuständigkeit an den Träger der Eingliederungshilfe ab. Dieser reduziert nicht nur die finanziellen Unterstützungen für Linas Pflegeeltern, sondern verweigert auch die Weiterleistung des bis dahin die Pflegefamilie begleitenden Fachdienstes. Linas Pflegeeltern sind verzweifelt und wissen nicht weiter.

P A U L A & F E L I X sind Zwillinge (acht Jahre), Paula ist Autistin, Felix hat eine Spastik. Sie gehen gemeinsam in eine integrative Schule. Mit ihren Freund*innen wollen sie auch zusammen den Hort besuchen, der jedoch voraussetzt, dass beide durch entsprechende Integrationshilfen unterstützt werden. Für Paula wird diese seitens des Jugendamts bewilligt. Der für Felix zuständige Träger der Eingliederungshilfe prüft jedoch zunächst die Einkommens‐ und Vermögensverhältnisse der Eltern und lehnt darauhin eine Kostenübernahme
für die Integrationshilfe für Felix ab. Die Eltern verstehen die Welt nicht mehr und überlegen, wie sie jetzt mit dieser Ungleichbehandlung ihrer beiden Kinder weiter umgehen sollen.

A N N A , vier Jahre, ist hörbehindert. Im Rahmen der Frühförderung lernt sie die Gebärdensprache. Damit sie diese auch Zuhause sprechen können, beantragen ihre Eltern die Finanzierung eines Gebärdensprachkurses für die ganze Familie. Der Träger der Eingliederungshilfe lehnt diesen jedoch ab, denn er dürfe nur Leistungen für Anna selbst gewähren.

Die Ungleichbehandlung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ist nach zehn Jahren UNBRK ein nicht mehr zu rechfertigender Zustand. Deshalb haben Politik und Fachwelt die Reforminitiative der letzten Legislaturperiode genutzt, sich innerhalb sowie zwischen den beiden Hilfesystemen von Jugend‐ und Behindertenhilfe in grundsätzlichen Fragen zu verständigen. Der im Koalitionsvertrag angelegte und vom BMFSFJ aktuell umgesetzte Weg eines breit angelegten Beteiligungsprozesses knüpt hieran an. Nach diesem Diskussionsprozess „Mitreden – Mitgestalten“ sind der Bund und die Länder gefordert, die Inklusive Lösung umzusetzen, durch die alle Kinder und Jugendlichen – mit und ohne Behinderungen bzw. unabhängig von der Art ihrer Behinderung – eine einheitliche gesetzliche Grundlage im Kinder‐ und Jugendhilferecht (SGB VIII) finden.

Es ist an der Zeit, dass sich alle einen Ruck geben! Der fachliche Diskurs ist so weit, dass die offenen Fragen gesetzgeberisch beantwortet werden können. Die organisatorischen Herausforderungen sind nicht banal und benötigen Aufmerksamkeit, sind aber gestaltbar. Die finanziellen Auswirkungen der Umsetzung eines inklusiven SGB VIII für die Länder und Kommunen verdienen Beachtung und entsprechender Unterstützung durch den Bund.

Für uns, die Unterzeichnenden, ist die Gestaltung eines inklusiven Kinder‐ und Jugendhilferechts für alle Kinder und Jugendliche das zentrale Anliegen. Die Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Politik steht jenseits von Parteien und föderalen Ebenen in der Pflicht, die UN‐Behindertenrechtskonvention umzusetzen und den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien eine gleichberechtigte Teilhabe an den Leistungen der Kinder‐ und Jugendhilfe zu ermöglichen. Eine Reform des Kinder‐ und Jugendhilferechts kann nur dann als gelungen bezeichnet werden, wenn die Exklusion von jungen Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen beendet und die Kinder‐ und Jugendhilfe für alle jungen Menschen gesetzlich gestaltet wird.

In diesem Sinne werden wir mit unserer Forderung nicht eher nachlassen, bevor die seit über 25 Jahren geführte gesellschafts‐ und fachpolitische Diskussion zu ihrem Erfolg findet!

Stellungnahme zur aktuellen Pressedebatte über Grenzverletzungen in kinder- und jugendpsychiatrischen und –psychotherapeutischen Einrichtungen

In Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie werden Patient*innen mit unterschiedlichen psychiatrischen Störungsbildern behandelt. Über die grundsätzliche Schutzwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen hinaus bedürfen gerade junge Patient*innen mit psychischen Störungen und ihre Familien besonders sensibler Behandlung und Betreuung, die auch wesentliche Aspekte des Kinderschutzes umfasst, und die das Genfer Gelöbnis 2017, das besonders auf den Respekt vor der Autonomie und Würde der Patienten hinweist, respektiert.

Mitglieder aller Berufsgruppen der Kliniken für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie tragen deshalb eine besondere Verantwortung für ihre Patient*innen. Zu dieser Verantwortung gehört auch, im Rahmen von Schutz- und Stationskonzepten Vorkehrungen zu treffen, so dass Zwangs- und freiheitsentziehende Maßnahmen, welche bei entsprechendem Verhalten von Patient*innen durchaus notwendig werden können, auf ein Minimum reduziert werden. Dabei müssen sich die Kliniken an die gesetzlichen Vorgaben, entsprechende Leitlinien und Standards sowie ethische Anforderungen halten. Deeskalation muss immer Vorrang haben vor Freiheitsentziehung, und Beziehung immer Vorrang vor Ausgrenzung und Isolation.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt ist in Deutschland noch kein gelebter Alltag, wie viele Vorkommnisse zeigen. Seit einiger Zeit ist die Entwicklung von Schutzkonzepten vermehrt als Notwendigkeit erkannt worden, für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist sie bereits verpflichtend. Zunehmend wird deutlich, dass solche Konzepte auch im Bereich medizinischer Einrichtungen notwendig sind. Allerdings haben bisher bei weitem nicht alle Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, umfassende Schutzkonzepte und noch immer haben nicht alle Fachkräfte ein Basiswissen zu dieser Thematik. In Einrichtungen, auch medizinischen, finden Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe sowie psychische und physische Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen statt. Dabei können sowohl Minderjährige als auch Mitarbeiter*innen „Täter*innen“ sein.

In der Presse sind aktuell sehr problematische Vorgänge in Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie thematisiert worden. Der Vorstand der DGKJP nimmt dies zum Anlass, auf die Verantwortung hinzuweisen, dass sich Institutionen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und – psychotherapie dieser Thematik stellen und entsprechende – einrichtungsindividuelle – Schutzkonzepte entwickeln müssen. Ebenso unterstützt die DGKJP entschieden die Initiative des „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)“ der Bundesregierung, die Entwicklung von Schutzkonzepten auch für Kliniken verbindlich zu machen. Insofern begrüßen wir auch die Initiative der DKG, die auf dem BMBF-geförderten Verbundprojekt ECQAT „Leitungswissen Kinderschutz in Institutionen“ aufbaut, welches von Prof. J.M. Fegert (ehemaliger Präsident DGKJP) und Prof. M. Kölch (stv. Präsident DGKJP) entwickelt wurde.

Der Vorstand der DGKJP kann zum jetzigen Zeitpunkt die derzeit in der Presse vermeldeten Vorgänge nicht kommentieren, auch weil ihm die Details nicht umfassend bekannt sind. Diese Situation hat den Vorstand aber mit Sorge erfüllt, dass erneut Vorgänge nicht mit der notwendigen Transparenz angegangen werden und die Schutzinteressen der eventuell betroffenen Kinder und Jugendlichen hintenanstehen. Der Vorstand möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die wissenschaftliche Fachgesellschaft größte Anstrengungen unternimmt, Informationen zur sicheren und wissenschaftlich begründeten Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört auch die Information und Aufforderung an Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, entsprechende Schutzkonzepte zu erarbeiten, damit das Risiko für Übergriffe und Grenzverletzungen minimiert wird.

Konkret möchten wir auf folgendes verweisen:

Die Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten liegt in der Verantwortung der Leitung einer Institution. Wichtig ist, dass es ihr frühzeitig gelingt, die Mitarbeitenden zu motivieren, sich aktiv an diesem Organisationsentwicklungsprozess zu beteiligen und ihre spezifische Perspektive einzubringen. In diesem Prozess sollte sich die Institution von Beginn an von einer spezialisierten Fachberatungsstelle begleiten lassen.“ UBSKM (2015). Schutzkonzepte.

Zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft DKG und dem UBSKM wurde bereits 2016 dazu eine Vereinbarung getroffen, die unter anderem eine Analyse der spezifischen Risiken vorsieht, einen Interventionsstufenplan, Standards bei der Personalauswahl sowie die Festlegung von Vorgehensweisen im Falle des Verdachts auf Übergriffigkeiten. Schutzkonzepten solle eine arbeitsrechtliche Bedeutung zugemessen werden, etwa in Form einer Dienstanweisung:
https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/2_Themen/2.3_Versorgung-Struktur/2.3.9_Kinderschutz/2016-02-23_Vereinbarung_DKG_UBSKM_final.pdf

Wir wissen, dass in vielen Kliniken hervorragende Arbeit geleistet wird, um für Kinder und Jugendliche eine sichere Umgebung und Behandlung zu gewährleisten, d. h. „gleichzeitig sowohl Schutzort als auch Kompetenzraum zu sein“ (UBSKM und DKG 2016). Eine fortlaufende Reflexion der Thematik durch die Mitarbeitenden ist wesentlich, um eine Kultur der Wertschätzung und des Respekts gegenüber Kindern und Jugendlichen zu pflegen.

Der Vorstand der DGKJP ist bereit, Mitglieder in allen damit zusammenhängenden Fragen zu beraten. Wir verpflichten uns gleichzeitig, über rechtliche und ethische Neuerungen in diesem sensiblen Feld umfassend und zeitnah zu informieren.

Der DGKJP-Vorstand, 30.07.2019

Offener Brief an die ARD

Sehr geehrte ARD, Sehr geehrter SWR,

am 3.7. wurde eine Dokumentation mit dem missverständlichen Titel „Elternschule“ gesendet, es gab zusätzlich ein „Extra: Elternschule − Filmgespräch mit Dietmar Langer“ zu dem Film und verschiedene Infos auf der SWR-Homepage („Elternschule | Doku Familien in Ausnahmesituationen“, „Doku im Ersten ‚Elternschule‘ trennt Therapie und Erziehung nicht klar genug“, „FAQ-Antworten auf häufig gestellte Fragen“ „Pressestimmen zum Film Ausgewählte Kritiken zur ‚Elternschule‘ “).

Berichte über Behandlungsmethoden, die nicht zu den evidenzbasierten gehören, (noch) nicht Mainstream sind, eben „Außenseitermethoden“, sind sicherlich grundsätzlich berechtigt.

Es ist Ihnen ja nicht entgangen, dass dieser Film, oder genauer die dargestellten angeblich innovativen Therapieverfahren bei und nach den Kinoaufführungen für Empörung gesorgt haben. Ein Grund für die Empörung war bei vielen die Frage ob wir in unserer Gesellschaft mit Kleinkindern so umgehen wollen, ob das ethisch überhaupt OK ist. Wird die Würde der Kinder verletzt? Ein weiterer Grund war bei vielen die Frage danach, ob wir in unserer Gesellschaft überhaupt mit Kleinkindern so umgehen dürfen, die Frage nach den Kinderrechten. Welche Rechte haben Kleinkinder?

Obwohl es in Ihrer Berichterstattung verschwiegen wird, ist Ihnen vermutlich nicht entgangen, dass eine der für diesen Behandlungskontext zuständigen medizinischen Fachgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), sich sofort kritisch zu dieser „Außenseitermethode“ der Verhaltenstherapie auf der Grundlage von Zwangsmaßnahmen geäußert hat. Siehe die „Stellungnahme der DGKJP zum Film ‚Elternschule‘, einem Dokumentarfilm von Jörg Adolph & Ralf Bücheler“ vom 2.11.2018 (siehe auf der Homepage der DGKJP und in Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie 2019 Heft 2). Ähnlich hat sich die Fachgesellschaft der Sozialpädiater (die DGSPJ) geäußert. Die DGKJP ist „federführend“ bei den beiden vorliegenden medizinischen Behandlungs-Leitlinien, der „S2k-Leitlinie 028/041 – Psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulter“ aktueller Stand: 09/2015 und der „S1-Leitlinie 028-012 „Nichtorganische Schlafstörungen“ aktueller Stand: 07/2018.

Trotzdem senden Sie diesen Film, ohne ihn in eine ausgewogene Fachdiskussion einzubetten. Ganz im Gegenteil geben Sie einem Protagonisten der Methode noch ausführlich Gelegenheit diese zu erläutern und die offensichtlichsten Schwächen der Dokumentation „schönzureden“ (Extra: Elternschule – Filmgespräch“).

Bei einer ausgewogeneren Berichterstattung der ARD/SWR hätte man z. B. erwarten können, dass bezüglich der ethischen Einordnung von Zwangsmaßnahmen bei Kleinkindern der „Deutsche Ethikrat“ (oder eines seiner Mitglieder) um seine Meinung befragt wird. Weil eine der ersten Fragen, die wir uns vor einer solchen „Zwangsbehandlung“ stellen sollten, ist doch, ob wir diese Therapie überhaupt bei kleinen Kindern, die sich ja noch nicht wehren können, überhaupt anwenden sollten, also die ethische Frage nach der Würde eines Kleinkindes. Kinderrechte und die UN-Kinderrechtekonven-tion wären weitere naheliegende Themen, die Frage danach, welche Rechte wir Kleinkindern, in Abgrenzung zu Kindern und Jugendlichen, noch zugestehen. Ist das Einsperren in einen Raum eine Isolierung? Ist längeres Festhalten eine Fixierung? Und wie kann man den Kommunikations- und Zuwendungsentzug (nicht Reden, kein Trost, keine positive Zuwendung usw.), oder wie es im Film salopp hieß „Handeln nicht Quatschen“, einordnen?

Mir steht es nicht zu, Ihre Recherchen zu beurteilen, aber haben Sie sich gar nicht gewundert, dass es zu diesem „innovativen“ Behandlungsverfahren, was nach der Selbstdarstellung ja über Jahrzehnte besonders erfolgreich sein soll, gar keine wissenschaftliche Publikationen vorliegen, es keinerlei wissenschaftliche Begleitforschung gibt? War es für Sie überhaupt nicht verwunderlich warum in vielen anderen Kliniken unseres Landes diese Behandlungsmethoden in dieser Form nicht genutzt wurden und die Kinder aber ebenfalls „gesund“ wurden und werden?

Die kritischen Fachmeinungen werden von Ihnen einfach ignoriert, sogar bei den Hintergrundinformationen des SWR auf deren Homepage werden die kritischen Stellungnahmen verschiedener Fachgesellschaften einfach verschwiegen (https://www.swr.de/film/elternschule-doku-erziehung-kinder-eltern/-/id=5791128/did=24257382/nid=5791128/y2unnl/index.html; Download 4.7.2019 15:31).

„Verhaltenstherapie“ in der Form von Verhaltenstraining mit Zwangsmaßnahmen um ein bestimmtes, gewünschtes Verhalten durchzusetzen hat es in der Vergangenheit bereits häufiger gegeben. Sie erinnern sich vielleicht noch an Ihre eigenen Filmbeiträge über die sogenannten Boot-Camps in den USA. Um die Boot-Camps ist es aber nicht nur bei Ihnen ruhiger geworden, stellte sich doch heraus dass die Rückfallquoten nicht signifikant besser waren und das auch, weil die willentlich gebrochenen jungen Menschen noch anfälliger wurden für eine Unterordnung unter die „falschen Kumpel“.

Dass ihnen ihr Wille gebrochen wurde, dass sie zu einem gewünschten Verhalten gezwungen werden sollten haben auch immer wieder die Heimkinder aus den Heimen und Anstalten der 50er bis 70er berichtet (siehe den Abschlussbericht des Runden Tisches Heimerziehung RTH). Mehrere Ihrer Sendeanstalten haben ausführlich über diese schrecklichen Erfahrungen der Betroffenen berichtet. Kürzlich erst hat sich der Bundessozialminister Hubertus Heil bei einer Veranstaltung der Stiftung Anerkennung und Hilfe mit dem Titel „Zeit, über das Leid zu sprechen“ (13.5.2019 im Museum für Kommunikation in Berlin) bei den Betroffenen entschuldigt. Im Zwischenbericht der Forschergruppe bezeichnete Prof. Fangerau die in Säuglingsheimen, Heimen und Anstalten erlebte Verhaltensanpassung als „Pädagogische Gewalt im Sinne von Gewalt als Erziehungsmittel“ (Vortrag der Forschergruppe zur „Wissenschaftlichen Aufarbeitung und Anerkennung von Leid und Unrecht“ im Rahmen der Veranstaltung „Zeit, über das Leid zu sprechen“ am 13.05.2019 in Berlin). Der Bundessozialminister Hubertus Heil hat den Betroffenen versprochen, dass sich so etwas nicht wiederholen darf.

Es ist vielleicht noch nicht so bekannt, aber für die Ärzteschaft (also auch einige Mitarbeiter der Klinik in Gelsenkirchen) gelten seit 2017 neue berufsethische Standards. Im „Genfer Gelöbnis“ von 2017 wird für den Arzt festgehalten:

„2. Die Gesundheit und das Wohlergehen meines Patienten wird oberstes Gebot meines Handelns sein.

3. Ich werde die Autonomie und Würde meines Patienten respektieren“ (zitiert nach der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“, Beschluss des 121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt; Hervorhebungen durch den Autor).

Beurteilen Sie bitte selbst, in wieweit bei den gezeigten Behandlungen „Wohlergehen“, „Autonomie“ und „Würde“ der kleine schutzbedürftigen Patienten gewahrt bleiben.

Vielleicht wollten Sie mit Ihrer einseitigen Berichterstattung nur Ihre Investitionen in dieses Filmprojekt „schützen“, vielleicht fällt es Ihnen auch nur schwer einzugestehen, dass Sie die Komplexität des Themas ein wenig unterschätzt hatten, es wäre aber für die sicherlich wichtige Frage der therapeutischen Behandlungsstandards von Kleinkindern und auch im Sinne Ihres öffentlich-rechtlichen Auftrages erfreulich, wen ARD und SWR wieder zu einer ausgewogeneren Berichterstattung zurückfinden könnten.

Dr. Klaus Schepker, Universitätsklinikum Ulm / Mitglied der DGKJP

Ulm, 9.7.2019

Krankenkassen blockieren zeitgemäße Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik

Gemeinsame Stellungnahme zur Position des GKV-Spitzenverbands

An die neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu Personalmindestvorgaben in
Psychiatrie und Psychosomatik haben Patienten, Angehörige und alle in der Versorgung Tätigen hohe
Erwartungen geknüpft: Die Sicherstellung einer zeitgemäßen Personalausstattung als Grundlage für
eine leitliniengerechte Krankenhausversorgung. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV) hat nun im laufenden Stellungnahmeverfahren seine Position veröffentlicht: Sie setzt auf Stillstand und Sanktionen. Sollten die Krankenkassen sich durchsetzen, wäre nichts gewonnen – und viel verloren.

Nach Vorstellung der Krankenkassen soll die fast 30 Jahre alte Psychiatrie-Personalverordnung quantitativ und strukturell unverändert in eine Personaluntergrenze überführt werden, bei deren Unterschreitung ein rigides Sanktionssystem greift. Die Krankenhäuser sollen die Einhaltung der Untergrenzen pro  Berufsgruppe, Station und Woche nachweisen – sonst werden bereits erbrachte Leistungen nicht bezahlt, was zur Schließung von Stationen führen kann.

Sollten diese Vorschläge Realität werden, wäre die flächendeckende Krankenhausversorgung in Psychiatrie und Psychosomatik ernsthaft bedroht. Die unterzeichnenden medizinischwissenschaftlichen Fachgesellschaften, Klinik- und Berufsverbände sowie Verbände der Selbsthilfe und der Angehörigen fordern deshalb

1. Die verbindliche Weiterentwicklung der Richtlinie: Es muss festgeschrieben werden, dass die Richtlinie nur eine Übergangslösung darstellt und mit einem verbindlichen Zeitplan zu einem  zukunftsfähigen Personalbemessungsinstrument weiterentwickelt wird. Ziel und Zweck muss sein, eine  leitliniengerechte Versorgung in psychiatrischen, kinder- und jugendpsychiatrischen und
psychosomatischen Kliniken zu garantieren.
2. „Personalmindestvorgaben“ statt „Personaluntergrenzen“: Die Richtlinie muss zwischen
Personalmindestvorgaben, die sich an der erforderlichen Versorgungsqualität ausrichten, und einer zur Gewährleistung der Patientensicherheit notwendigen Personaluntergrenze differenzieren.
3. Die sofortige Verbesserung der Personalausstattung: Die Psych-PV kann zwar übergangsweise als Grundlage der neuen Personalmindestvorgaben dienen, die Personalausstattung muss aber sofort gemäß der aktuellen ethischen, medizinischen und rechtlichen Standards strukturell angepasst und quantitativ erhöht werden;
4. Nachweispflichten pro Klinik und Jahr: Notfälle und behandlungsintensive Patienten können kurzfristig den flexiblen Einsatz von Personal innerhalb einer Klinik notwendig machen. Auch die Pflichtversorgung der Kliniken für eine bestimmte Region führt immer wieder zu vorübergehenden  Überbelegungen. Hierfür  brauchen die Krankenhäuser eine entsprechende Freiheit in der  Personalplanung. Das vom GKV-SV vorgeschlagene starre stationsbezogene Nachweissystem
würde hingegen zur Abweisung von Patienten und letztlich zu Stationsschließungen führen. Statt
ökonomischer Sanktionen, welche die flächendeckende regionale Versorgung grundlegend gefährden,
muss ein differenziertes und auf die Erreichung der Qualität ausgerichtetes System von Maßnahmen
geschaffen werden, welches die Kliniken angesichts von hohen Ausfallquoten und Nachwuchsmangel
bei der Erfüllung der Mindestvorgaben unterstützen.
Der gesetzliche Auftrag (PsychVVG, § 136a Abs. 2 SGB V) sieht die Erstellung einer Richtlinie für
Mindestvorgaben zur Personalausstattung in Kliniken für Psychiatrie und Psychosomatik vor, welche
zu einer qualitativ hochstehenden und leitliniengerechten Versorgung beitragen sollen. Dies ist
notwendig, da die noch geltende Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) von 1991 die aktuellen
medizinischen, rechtlichen und ethischen Standards nicht berücksichtigt und ihre Gültigkeit zum
01.01.2020 verliert. Die neue Personalausstattungs-Richtlinie muss bis zum 30.09.2019 vom G-BA
verabschiedet werden und soll zum 01.01.2020 in der Nachfolge der Psych-PV in Kraft treten.

Hier finden Sie das Statement des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherungen: https://www.gkv-90prozent.de/ausgabe/13/meldungen/13_personalausstattung-psychiatrie/13_personalausstattung-psychiatrie.html

Die gemeinsame Stellungnahme zur Position des GKV-Spitzenverbands wird unterstützt von
▪ Berufsverband Deutscher Nervenärzte e. V. (BVDN)
▪ Berufsverband Deutscher Psychiater e. V. (BVDP)
▪ Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V. (BKJPP)
▪ Bundesdirektorenkonferenz – Verband leitender Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie
und Psychotherapie e. V. (BDK)
▪ Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e. V. (BApK)
▪ ChefärzteInnen der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern (ackpa)
▪ Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz
▪ Deutsche Ärztliche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e. V. (DÄVT)
▪ Deutsche Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege e. V. (DFPP)
▪ Deutsche DepressionsLiga e. V. (DDL)
▪ Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e. V. (DGGPP)
▪ Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (DGKJP)
▪ Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN)
▪ Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e. V. (DGPM)
▪ Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e. V. (DGZ)
▪ Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e. V. (DVSG)
▪ Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie e. V. (LIPPs)
▪ Pandora Selbsthilfeverein für Psychiatrie Erfahrene e. V.
▪ Spitzenverband ZNS (SpiZ)
▪ Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands e. V. Fachgruppe psychiatrische Einrichtungen (VKD)

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes für bessere und unabhängige Prüfungen – MDK- Reformgesetz

Das Bundesgesundheitsministerium hat am 02. Mai 2019 einen Referentenentwurf vorgelegt und damit langjährigen Forderungen der Fachverbände in Richtung auf eine Reduzierung des „Misstrauensaufwandes“ zu entsprechen versucht.

Zu begrüßen ist die Intention, den Medizinischen Dienst zu einer unabhängigen Körperschaft zu entwickeln – diese wird er aber unabhängig von der Rechtsform erst dann werden, wenn die Absicht hauptamtliche Mitarbeiter der Krankenversicherungen aus den Verwaltungsräten auszuschließen, wirklich umgesetzt wird. In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich die Berufung von Patientenvertretern, Ärztevertretern und Vertretern des Pflegepersonals in den jeweiligen Verwaltungsrat.
Positiv bewerten wir ebenfalls das Aufrechnungsverbot der Krankenkassen – gerade in kleinen KJPP-Einrichtungen war die Liquidität dadurch teilweise ernsthaft gefährdet.
Ebenso begrüßen wir die Bindung der Krankenkassen an das Prüfergebnis des Medizinischen Dienstes, auch wenn die logische Konsequenz eine Unmöglichkeit für die Krankenhäuser ist, noch Informationen zur Behandlung im Nachgang nachzutragen, um dem Prüfergebnis fundiert zu widersprechen.
Eine Ombudsstelle für Patienten/ Versicherte und Beschäftigte der Medizinischen Dienste ist überfällig.
Die Evaluation der Neuregelungen drängt sich auf, sollte aber aus Gründen der wissenschaftlichen Objektivität extern und nicht durch die Selbstverwaltung selbst erfolgen.

Dennoch besteht aus Sicht der DGKJP in einigen Punkten ein Nachbesserungsbedarf, den wir im Folgenden ausführen möchten.
Überdenkenswerte Punkte im MDK-Reformgesetz sind die folgenden:

1. Eine Prüfquote würde den Prüfaufwand erheblich verringern und wirkt zunächst als ein sinnvolles Mittel. Allerdings besteht unsererseits Sorge, dass eine auf das gesamte Krankenhaus bezogene Prüfquote dennoch kleinere Fächer und spezifische Settings zu wenig berücksichtigt, als dass eine Mittelung der Prüfquote über alle Abteilungen und Bereiche eines Krankenhauses dennoch hohe Prüfquoten in kleinen Bereichen zulässt. Derzeit betrifft das die stationsäquivalente Behandlung nach § 115d SGB V, die zu nahezu 100 % geprüft wird. Das behindert die Einführung des politisch gewollten und fachlich begrüßten Angebots immens.
Möglicherweise ist die spezielle Problematik im Sinne der Förderung der Ambulantisierung nach § 115 b zu berücksichtigen (s.u.). Ansonsten plädieren wir für die Einführung eines Settingbezugs dahingehend, dass insbesondere kleine Untereinheiten eines Krankenhauses (Tageskliniken, Stationsäquivalente Behandlungsteams) nur zu 20 % geprüft werden dürfen.

2. Das Verbot von nicht abschließend ausgeführten Sondervereinbarungen nach § 275c Abs 7 SGB V bedarf aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie einer spezifischeren Betrachtung. Sofern Sondervereinbarungen in Hinsicht auf einen „Prüfkorridor“ insbesondere im Bereich der Suchtbehandlung Jugendlicher abgeschlossen wurden (keine Prüfung von Fehlbelegungen bei Einhalten eines Verweildauerkorridors von x Tagen), ist das ein sinnvolles Instrument. Es sei darauf hingewiesen, dass im Bereich der Suchtbehandlung Jugendlicher eher eine längere Durchschnittsverweildauer als eine kürzere als Qualitätsmerkmal gelten kann, da sie positiv auf eine gute „Haltequote“ in der Behandlung hinweist. Erst bei notwendiger Überschreitung einer vereinbarten Grenzverweildauer erfolgt in einem solchen Rahmen eine – sinnvolle – Rückkoppelung mit dem Kostenträger bzw. mit dem Medizinischen Dienst hinsichtlich einer Verlängerung. Die Fortexistenz solcher aus unserer Sicht fachlich sinnvollen Vereinbarungen sollte sichergestellt sein.

3. So sehr die elektronische Übermittlung von Prüfunterlagen nach § 275 c Abs. 4 SGB V aus Umweltschutzgründen zu begrüßen ist, sollte zusätzlich auf rein elektronische Übermittlung mit Verschlüsselungstechnologie abgestellt werden. Zu ärgerlich ist der aktuell gelegentlich zu beklagende, auch datenschutztechnisch bedenkliche Verlust von Datenträgern auf dem Postweg.

4. Die Strukturprüfungen nach § 115 b) sollten auch auf die psychiatrischen Einrichtungen mit den Leistungen nach § 115 d) ausgedehnt werden, die nicht sicher – weder im Gesetzentwurf noch in der Begründung – mit gemeint sind. Strukturprüfungen, die im Psych VVG bereits für die Psychiatrie etabliert wurden, sollten insgesamt einer harmonisierten Regelung für alle Fachgebiete unterzogen werden.

5. Im Sinne unseres Punktes 4. sollten die Bedürfnisse Behinderter im Rahmen der Ambulantisierung von Krankenhausleistungen auch für nicht operative Fächer besonders berücksichtigt werden. So ist unser Fachgebiet am Rande betroffen von der gering vorhandenen Möglichkeit, schwer mehrfachbehinderte junge Erwachsene nach Entwachsen der Behandlung und Betreuung durch sozialpädiatrische Zentren durch epileptologische Zentren ambulant, in Einrichtungen auch aufsuchend, diagnostizieren und behandeln zu lassen. Wir fordern das Bundesgesundheitsministerium auf, den Selbstverwaltungspartnern hier, etwa im Rahmen der Gesetzesbegründung, deutlichere Hinweise zu geben. Die MZEBs nach § 116 SGB V stellen hierfür keine realistische Alternative dar.

6. Die Änderung der BPflV § 8 und § 11 in Artikel 5 des Referentenentwurfs muss für kleinere, insbesondere pflichtversorgende Einheiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Nachbesserungsfrist offenlassen. Die Formulierung im Gesetzentwurf ist abschließend formuliert und bedeutet bei Unterschreiten der Strukturmerkmale die Gefahr eines Klinik- oder Abteilungssterbens. Es sei darauf hingewiesen, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie bereits derzeit nicht wohnortnah aufgestellt sein kann und dass je nach regionaler Betten- und Abteilungsdichte für die Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher bei nicht korrigierbarer Feststellung eines Leistungsverbots der Zusammenbruch der Versorgung einer Region die Folge sein kann. Zumindest müssten die Selbstverwaltungsträger verpflichtet werden, dann Wege für die weitere Versorgung psychisch kranker Jugendlicher zu suchen oder den Krankenhausträger bei der Nachbesserung der Strukturvorgaben zu unterstützen und diese in einem gegebenen Zeitraum nochmals zu überprüfen.