31|05|2023

Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des BMFSFJ und des BMJ zum „Gesetz [..] über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) hatte gemeinsam mit den beiden kinder- und jugendpsychiatrischen Fachverbänden bereits am 19. September 2022 das „Eckpunktepapier“ der Koalitionsparteien kommentiert. Basierend auf den damaligen Kommentaren finden Sie unsere Stellungnahme zu dem o.g. Gesetz wie folgt:

Zu § 1 Punkt 2 Absatz 2
Wir begrüßen ausdrücklich, dass unsere Position, keinen Automatismus bezüglich geschlechtsangleichender medizinischer Maßnahmen herzustellen, in der Präambel zum Referentenentwurf explizit aufgegriffen worden ist.
Zur Trennung des Personenstandseintrags von medizinischen Maßnahmen gehört auch, dass für den juristischen Schritt einer Änderung des Geschlechtseintrages keine medizinischen Dokumente mehr vorgelegt werden müssen. Durch die Möglichkeit der Personenstandsänderung bei unter 18-jährigen kann zunächst in einer sozialen Transition Rollensicherheit und -klarheit von Jugendlichen und ihrer sozialen Umgebung entwickelt und eine neue Identität erprobt werden. Zur Erhöhung der Sicherheit etwaiger medizinischer Behandlungsentscheidungen in diesem Feld sind möglichst ungehinderte und diskriminierungsfreie soziale Alltagserfahrungen Jugendlicher im gelebten Geschlecht, welches ihrer empfundenen Identität entspricht, wichtig.


Zu § 2 Punkt 2 Absatz 4
Wir begrüßen die Möglichkeit, auch nur den Vornamen neu zu bestimmen. Das entspricht besonders den Bedürfnissen der jüngeren Altersgruppe, eine möglicherweise überbrückende und einfache „kleine Lösung“ zu wählen, die sich auf eine Änderung des Vornamens beschränkt.

Zu § 3 Absatz 1
Das Familiengericht soll künftig die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters von über 14jährigen ersetzen können, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht. Wir hatten bereits in unserer Kommentierung vom 19.9.2022 erklärt: „Eine abstrakte Orientierung am Kindeswohl in komplizierten Fällen, die ggfs. das Recht des Kindes gegen die eigenen Eltern durchsetzt, wird der Entwicklung des Jugendlichen und einer Familie nicht helfen, wenn dies zum Verlust der familiären Bindungen führt.“
Daher begrüßen wir, dass auf Seite 26 (und Seite 37) der Gesetzesbegründung „der Zugang zu einer sachkundigen, ergebnisoffenen und kostenlosen Beratung ermöglicht wird“ und dass „die Bundesregierung beabsichtigt, die Beratungsangebote insbesondere für minderjährige Personen auszubauen und zu stärken.“ Jedoch vermissen wir in der Aufzählung der Gesetzesbegründung die professionelle kinder- und jugendpsychiatrische und –psychotherapeutische Beratung und Prozessbegleitung des gesamten Familiensystems. In aller Regel werden die betroffenen Kinder und Jugendlichen bereits Kontakt zu den existierenden interdisziplinären Zentren aufgenommen haben. Eine Entkoppelung der Beratung zum Personenstandseintrag bzw. Vornamensänderung und der Gesamtsituation des Kindes oder Jugendlichen halten wir nicht für zielführend – auch aus entwicklungspsychologischen Gründen und Kindeswohlaspekten. Gerade die familiäre Gesamtsituation ist in diesem Altersabschnitt, anders als bei Erwachsenen, für die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen immer zu beachten. Wir fänden es daher sinnvoll, hier die Beteiligung von und Beratung durch spezialisierte Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zu ergänzen.
Der Gesetzgeber möchte sich von bisherigen Zwangsberatungen laut Gesetzbegründung distanzieren. Im Fall, dass im Sinne des § 3 (1) der gesetzliche Vertreter dem Wunsch des Jugendlichen nicht zustimmt, fänden wir jedoch den einen Hinweis auf Beratungsangebote angemessen:

Wir schlagen daher folgenden Zusatz als Satz 3 vor: „Das Familiengericht hat im Falle des Satzes 2 auf die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten hinzuwirken.“


Zu § 3 Absatz 2
Vor dem 14. Lebensjahr soll im Sinne aller bisheriger Elternrechte und -pflichten nur der gesetzliche Vertreter eine entsprechende Erklärung abgeben können.
Bei Kindern vor Eintritt der Pubertät, der meist bis zum 14. Lebensjahr erfolgt ist, ist nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand aufgrund einer wesentlich größeren Bandbreite von Entwicklungsverläufen mit einer deutlich höheren Häufigkeit einer Nicht-Persistenz nonkonformer Geschlechtsidentitäten zu rechnen als bei Jugendlichen, die nach Eintritt der Pubertät über einen längeren Zeitraum anhaltend eine geschlechts-nonkonforme Identität empfinden. Zudem ist in dieser Altersgruppe eine im Alltag verlässlich erfahrbare Anerkennung ihrer empfundenen Geschlechtsidentität (Schule, Sport, Wartezimmer) zum Schutz vor erlebter Zurücksetzung und Diskriminierung weitestgehend hinreichend (z.B. werden noch keine Ausbildungsverträge geschlossen). Die Möglichkeit, nur den Vornamen zu ändern, könnte für diese Altersgruppe somit besonders sinnvoll sein.

Wir schlagen daher folgenden Zusatz zu § 3 (2) vor: „Auf die Bevorzugung eines Vorgehens entsprechend § 2 (4) für diese Altersgruppe ist seitens des Standesamtes hinzuweisen.“


Zu § 4 und § 5
Gerade junge Menschen können im Zuge ihrer Identitätsfindung ebenso zur inneren Erkenntnis gelangen, dass es am ehesten ihrer geschlechtlichen Identität entspricht, einen vollzogenen Rollenwechsel wieder zurückzunehmen. Daher begrüßen wir die Möglichkeit der unbürokratischen Rücknahme einer Personenstands- oder Vornamensänderung durch die Fristgebung in § 4.
Ebenso würden wir eine aus unserer fachlichen Überzeugung auch für Jugendliche angemessene Sperrfrist nach § 5 begrüßen. Es besteht aus unserer fachlichen Sicht keine Veranlassung, die Sperrfrist von einem Jahr für Kinder und Jugendliche nicht gelten zu lassen. Der Satz in der Gesetzesbegründung (S.42) „Dies trägt insbesondere bei Minderjährigen deren noch andauernder Persönlichkeitsentwicklung Rechnung“ unterstellt, dass eine persönliche Reife und die Fähigkeit, die Tragweite der Entscheidung zu erfassen, beim Eintrag der Änderung für diese Altersgruppe doch nicht vorliegen müssten oder im Einzelfall doch nicht vorgelegen hätten.

Wir schlagen vor, Satz 2 des § 5 (1) zu streichen (“Dies gilt nicht in den Fällen des § 3.“).


Zusätzliche Anmerkung:
Anders als in vielen andere Gesetzesvorhaben ist in diesem Gesetz eine Evaluation oder ein Monitoring nicht vorgesehen. Beim aktuell nicht umfangreichen Kenntnisstand zu Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie wäre ein Monitoring und epidemiologische Forschung zu Auswirkungen und Veränderungen, die der geplanten Gesetzesänderung folgen können, sinnvoll und erforderlich.

Für den Vorstand der DGKJP

Prof. Dr. med. Marcel Romanos
Präsident DGKJP

 

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