08|08|2023

Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG)

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Entwurf eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG)“
 
Sehr geehrte Frau Ministerialrätin Brandenburg,
 
hiermit erhalten Sie die Stellungnahme zum o.g. Gesetz aus Sicht der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. 
 
Grundsätzlich besitzen digitale Gesundheitsanwendungen mit ihren Möglichkeiten aber auch Herausforderungen eine hohe Relevanz für die Weiterentwicklung von Prävention, Diagnostik und Behandlung von psychischen Erkrankungen. Da Kinder und Jugendliche sowohl im Vergleich der Altersgruppen digital besonders affin als auch kompetent im Umgang sind, messen wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft dem Entwurf hohe Bedeutung bei. 
 
Die weitere Stärkung der Digitalisierung des Gesundheitswesens bietet das Potential, Versorgungsdefizite bei psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen zu verbessern, sowohl im niederschwelligen Zugang zu qualifizierten Angeboten per Telemedizinischer Angebote, als auch hinsichtlich der Förderung eigener krankheitsbezogener Kompetenzen durch beispielsweise Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa).
 
Das Gesetz adressiert unter anderem auch wesentliche kritische Bereiche in der Digitalisierung von Gesundheitsversorgung. Dazu zählt zuvorderst die Sicherung der Qualität der Angebote. Dies umfasst zwingend die Darlegung von Effektivität als auch potentiellen unerwünschten Wirkungen bei DiGa, da nur so eine ausreichende Risikoeinschätzung in der Verordnung und Anwendung erfolgen kann. Des Weiteren ist die Gewährleistung der Datensicherheit ein übergreifendes Thema, welches bundeseinheitlich definierter und laufend aktualisierter Sicherheitsstandards bedarf. Ebenso ist die Schnittstellenthematik für den sektorübergreifenden Datenaustausch zwingend bundeseinheitlich durch eine definierte und beauftragte Institution zu kuratieren. 
 
Im Folgenden gehen wir im Einzelnen auf die im Gesetz adressierten Maßnahmen ein:
 
Weiterentwicklung der ePa
Die im Gesetz vorgesehene Weiterentwicklung der ePA wird begrüßt, insbesondere die Entwicklung und Etablierung einer ePKA ist für den Versorgungsalltag als ein sinnvoller und wirksamer Baustein in der sektorenübergreifenden Versorgung einzuschätzen. Nach wie vor haben wir aber keine Antwort darauf erhalten ob die Sorgeberechtigten oder die jugendlichen Patient:innen selbst über die Inhalte und die Freigabe der Daten in der ePKA verfügen dürfen. 
 
Weiterentwicklung des E-Rezepts
Die Weiterentwicklung von E-Rezepten ist ebenfalls als eine Erleichterung im Versorgungsalltag zu begrüßen. Aus dem vorliegenden Gesetzesentwurf geht nicht hervor, ob die neue Ausarbeitung des E-Rezeptes auch eine Lösung zur Verordnung von Betäubungsmitteln berücksichtigt. Signifikante Verordnungszahlen von Betäubungsmitteln betreffen im Bereich der psychischen Erkrankungen in erheblichem Umfang von ADHS betroffene Patient:innen. Sofern auch an eine Verordnung von Betäubungsmitteln mittels E-Rezept gedacht ist, würde dieses besonderer Absicherungen bedürfen. Hierzu bedürfte es eigener, fachlich fundierter Beratungen.
 
Weiterer Ausbau der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa) 
Vor dem Hintergrund, dass die Wirksamkeit der aktuell verfügbaren DiGa für den Bereich der seelischen Gesundheit nach wie vor nur in wenigen Fällen erwiesen ist, betrachten wir die Einführung qualitätsbezogener Faktoren als längst überfällig. 
Wir verweisen diesbezüglich auf unsere ausführliche Stellungnahme vom Februar 2020, in der wir klar ein Vorgehen analog der Zulassung von Pharmaka gefordert haben, um unwirksame DiGa nicht in die Anwendung zu bringen, zum einen um möglichen Schaden von den Patient:innen abzuwenden ebenso wie das Gebot der Wirtschaftlichkeit  zu erfüllen.
Auch die Betrachtung von potentiellen unerwünschten Wirkungen durch DiGa sehen wir in dem aktuellen Gesetzentwurf ungenügend abgebildet. 
Aktuell ist ein iterativer Prozess der Qualitätsentwicklung in der laufenden Anwendung vorgesehen. Wir halten dies angesichts der potentiellen gesundheitlichen Folgen für die Anwender:innen für nicht vertretbar und fordern die Erbringung von Wirksamkeitsstudien (einschließlich der Erfassung unerwünschter Wirkungen) durch die Anbieter. Dabei sind die qualitativen Mindeststandards analog der Zulassungsverfahren von Pharmaka zu erfüllen.  
 
Weiterentwicklung von Videosprechstunden und Telekonsilen
Die Weiterentwicklung von Videosprechstunden und Telekonsilen als ein fester Bestandteil in der Versorgung ist ein wichtiger Baustein unseres Gesundheitssystems. Dies ist insbesondere für Menschen mit erschwertem Zugang zu Versorgungsstrukturen eine notwendige Maßnahme, um Versorgungsgerechtigkeit herzustellen. Hier sind unter anderem Menschen zu nennen, die ohne Telemedizinische Angebote auf die Dienste Dritter angewiesen sind, wie ältere Menschen oder auch Kinder und Jugendliche in ländlichen Regionen. Insbesondere in der sprechenden Medizin besteht auch eine wissenschaftlich klare Datenlage für die grundsätzliche Wirksamkeit von Telemedizinischer Versorgung. Die im Entwurf vorgesehene breitere Anwendungsmöglichkeit telemedizinischer Angebote ist daher klar zu begrüßen. Allerdings erscheint die Festlegung auf maximal 30 Prozent nicht der bestehenden Datenlage angemessen und baut Versorgungsbarrieren in der Erreichbarkeit nicht ausreichend ab. 
Wir regen daher auch vor dem Hintergrund der aktuellen erheblichen Bedarfslage in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung an, die Beschränkung der maximalen Anwendung von telemedizinischer Versorgung auf 80 Prozent zu erhöhen und dadurch festzulegen dass patientenbezogen jeder 5. Kontakt in einem face-to-face Termin stattfindet. 
 
An dieser Stelle möchten wir explizit darauf hinweisen, dass in den Ausbau der telemedizinischen Versorgung explizit die Krankenhäuser und die psychiatrischen Institutsambulanzen einbezogen werden müssen, da ihre Versorgungsrelevanz auch in der ambulanten Versorgung stetig anwächst. Auch regionale und überregionale Spezialexpertisen von Krankenhäusern können so Patient:innen leichter zugängig gemacht werden. 
 
Analog sollten zur Nutzung von Fachexpertise dringend Telekonsilien auch zwischen Krankenhäusern und sektorenübergreifend zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Vertragsärzten und -psychotherapeuten ermöglicht und mit einer kostendeckenden Vergütung versehen werden. Daraus würde auch eine Bereicherung stationärer und teilstationärer Behandlungen erwachsen.
 
Wir begrüßen ausdrücklich die geplante Qualitätsorientierung sowohl bei Videosprechstunden als auch bei Telekonsilien. Dabei bleibt jedoch das Vorgehen zur Erstellung von validiertem Vorgehen und Behandlungspfaden unklar. Die Formulierung der Übertragung von Implementierung und Überwachung dieser Qualitätskriterien auf die „Institutionen der Selbstverwaltung“ ist ungenau Wir regen daher dringend an, eine konkrete bundesländerübergreifende Institution mit der Erstellung dieser Qualitätsmerkmale zu beauftragen.
 
Digitale Weiterentwicklung von strukturierten Behandlungsprogrammen
Die im Gesetz vorgesehene Augmentierung durch digitale Behandlungselemente der strukturierten Diabetes-mellitus-Behandlung als erster use-case ist zu begrüßen.
 
Verbesserung der Interoperabilität
Die Verbesserung der Interoperabilität ist ein Kernelement in der Erschließung digitaler Techniken in der Gesundheitsversorgung. Eine durch den Gesetzgeber stringentere Vorgabe ist daher ausdrücklich zu begrüßen.
 
Erhöhung der Cybersicherheit
Die Verbesserung der Cybersicherheit durch Erhöhung der Datenkompetenz von Nutzer:innen ist ein wichtiger Ansatz. Dabei sollten in der Umsetzung die unterschiedlichen Bedarfe in der Erreichbarkeit klar adressiert werden. Die zu vermittelnden Inhalte müssen für Jugendliche anders aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden als beispielsweise für Senioren. Menschen mit speziellen Einschränkungen sind hier ebenso einzubeziehen, da ansonsten eklatante Unterschiede und Ungerechtigkeiten in der Datenmächtigkeit der Nutzer:innen entstehen. Wir regen daher dringend an, diese differenzierte Sicht auf die zu entstehenden Angebote im Gesetzestext zu verankern.
 
Neben dem aktuellen Gesetzesvorhaben melden wir aus zahlreichen Gesprächen mit Ärzt:innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen zurück, dass hinsichtlich der Sicherheit der Daten eine enorme Verunsicherung besteht und daher Weiterentwicklungen digitaler Gesundheitstechnologien aktuell häufig nicht in die Anwendung kommen. Die Erstellung einer zentralen Datenverarbeitungslösung, die auf Bundesebene einheitlich zur Verfügung gestellt wird, würde die Sicherheit bei den professionellen Nutzer:innen erheblich erhöhen und ein erhebliches Hemmnis in der Entwicklung der digitalen Gesundheitsversorgung abbauen. 
 
Verstetigung und Weiterentwicklung des Innovationsfonds
Die Verstetigung des Innovationsfonds wird ausdrücklich begrüßt. Insbesondere die vorgesehene Flexibilisierung der Förderformate und Nutzung einstufiger Verfahren lässt erwarten, dass innovative Versorgungsansätze agiler umgesetzt werden können und sich als wirksam erweisende Projekte leichter in Eingang in die Versorgung finden.
 
Wir halten das Gesetzesvorhaben für einen wichtigen weiteren Schritt im Prozess der notwendigen Digitalisierung des Gesundheitswesens und freuen uns, wenn wir als DGKJP einen Beitrag zur gelingenden Gesetzesfassung beitragen können. 
 
Für weitere Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
 
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Prof. Dr. M. Romanos
Präsident
 
Prof. Dr. T. Renner
stellv. Präsident
 
Prof. Dr. R. Schepker
Vorstandsmitglied
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