25|04|2024

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen (UBSKMG)

Gemeinsame Stellungnahme

Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP), Dazugehören e.V., Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkund e.V. (DGPPN) zum

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Wir begrüßen, dass nunmehr ein Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorgelegt wird.

Sexuelle Gewalt gegen Minderjährige ist ein Faktor, der stark zu einer negativen psychischen (und körperlichen) Gesundheit beiträgt und der zudem lange Zeit tabuisiert wurde.
Die DGKJP hat den Nationalen Rat gegen sexuellen Kindesmissbrauch und auch den bzw. die UBSKM in ihren Aktivitäten unterstützt. Insofern sehen wir es als begrüßenswert an, dass nunmehr die Rolle eine:r UBSKM mit dem vorgelegten Entwurf verstetigt und gesetzlich anerkannt wird.
Es wird ebenfalls begrüßt, dass als zentrale, das gesamte Gesetz prägende Norm mit dem Recht auf Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung eine klare Zielbestimmung verankert ist, verbunden mit dem konkreten Auftrag an die staatliche Gemeinschaft, Maßnahmen zur Umsetzung dieses Schutzes für Kinder und Jugendliche zu implementieren.
Die einzelnen Regelungen zur Verstetigung der UBSKM und des Betroffenenrates, der verstärkten Aufklärung, der Verbesserung der Aufarbeitung (auch durch Fallanalysen im Rahmen von Institutionen, bzw. individuell für Betroffene durch besseren Aktenzugang und Unterstützung), aber auch die Verstetigung der Beratungsmöglichkeiten für Angehörige der Heilberufe begrüßen wir. Als wissenschaftlicher Fachgesellschaft ist es uns auch besonders wichtig, dass das im Nationalen Rat breit diskutierte Zentrum zur Forschung etabliert wird und nachhaltig Forschung zu Prävalenz und Prävention (auch im Verbund mit Universitäten und Hochschulen) in der Zukunft ermöglicht wird. Dazu wird eine entsprechende Finanzierung auch in der Zukunft notwendig sein.

Zu einzelnen Punkten nehmen wir wie folgt Stellung:

BZgA:
§ 2 Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung zum Schutz vor sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Wir unterstreichen den in (2) genannten notwendigen Transfer in Lebensbereiche von Kindern. Hier erscheint uns aufgrund aus anderen Kontexten bekannter Besonderheit im Rahmen des Föderalismus der Schulbereich sehr zentral zu sein. Wir begrüßen ausdrücklich, dass hier der Auftrag nicht nur im Bereich der Entwicklung von Materialen bei der BzGA (oder dem BIPAM) liegen wird, sondern eben auch im Transfer. Hier wäre ggfs. eine Evaluation des Gelingens noch in den Text hineinformulierbar gewesen.

Aufarbeitung
In Bezug auf die Aufarbeitung muss die staatliche Gemeinschaft künftig dafür Sorge tragen, dass alle in Kindheit und Jugend von sexueller Gewalt betroffenen Personen mit bedarfsgerechter Beratung und Unterstützung ihre Erlebnisse individuell aufarbeiten können: Diese individuellen Prozesse werden flankiert und ergänzt durch Aufarbeitung in Institutionen, Staat und Gesellschaft. Es wird begrüßt, dass § 3 Abs. 1 als Ausgestaltung der übergeordneten Zielbestimmung von § 1 Abs. 1 S. 1 vorgibt, dass die staatliche Gemeinschaft für Betroffene konkrete Maßnahmen zur Linderung des Leids und der noch andauernden Folgen sowie zur Sichtbarmachung und Anerkennung des Unrechts ergreift. Darüber hinaus wird grundsätzlich auch begrüßt, dass gemäß § 3 Abs. 2 ein Beratungssystem zur Unterstützung bei der individuellen Aufarbeitung bereitgestellt werden soll und zwar umfassend für Betroffene aus allen Kontexten, insbesondere auch aus dem Kontext Familie, in dem die meisten Missbrauchsfälle vorkommen.
Das in der Gesetzbegründung dargelegte Beratungssystem des Bundes dürfte aber keinesfalls ausreichen, um Betroffene in ihrem Aufarbeitungsprozess in geeigneter Weise zu begleiten und bedarfsgerecht zu unterstützen, wie vom Gesetz gefordert (§ 3 Abs. 1). Es bestehen vielmehr erhebliche Zweifel, dass ein geeignetes Konzept, das diesen Anforderungen entspricht, mit den bereitgestellten Mitteln von lediglich 2,5 Mio. EUR jährlich zu finanzieren sein wird (siehe dazu Referentenentwurf S. 30). Hier wird ein offensichtlicher Widerspruch gesehen zu der übergeordneten Zielsetzung aus § 1 Abs. 1 S. 1 und der einhergehenden Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft. Die Unterstützung von Betroffenen bei ihrer individuellen Aufarbeitung sollte als Unterstützungs- und Beratungsanspruch für Betroffene ausgestaltet und gleichzeitig sollten ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden. Ansonsten könnte die Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft ins Leere laufen, eine Verbesserung der individuellen Lage von Betroffenen zu erreichen, insbesondere auch in gesundheitlicher Hinsicht. Es sei darauf hingewiesen, dass bereits eine Vielzahl teils rein spendenfinanzierter und bisher nur wenig qualitätsgesicherter, kommunaler oder kirchlicher Beratungsstellen sowie niedergelassene Therapeut:innen existieren, daneben die im Rahmen des SGB XIV neu geschaffenen Trauma-Ambulanzen, und dass die Aufgabe auch so verstanden könnte diese Angebote zu zertifizieren, zentral zugänglich zu machen und Betroffene vor Fehlbehandlungen zu schützen.

Fallanalysen sind ein gutes Mittel, um fehlerhafte Verläufe aber auch gute Verläufe zu analysieren. Allerdings setzen Fallanalysen setzen entsprechende datenschutzrechtliche Voraussetzung voraus, was wiederum eine Regelung erfordert, dass Daten und Akten auch verwendet werden können. Hinsichtlich der Frage des Datenschutzes sind wir nicht die juristisch berufene Institution. Jedoch ist im Forschungskontext bekannt, welche Probleme datenschutzrechtliche Regelungen zeitigen können, und ggfs. sogar dazu führen können, dass eigentlich schützenswerte Interessen an Forschung zurückstehen hinter prinzipiellen Datenschutzfragen. Im Bereich der Medizin wurde dies u.a. aufgrund der Covid-Pandemie erkannt und die deutsche Problematik, etwa im Vergleich zu skandinavischen Ländern ist was Versorgungsdaten angeht vom BMG aufgegriffen worden. Sozialrechtliche Datenschutzregelungen können ein erhebliches Hindernis für Aufarbeitungsprojekte darstellen. Wenn das Gesetz hier die Chance ergriffe eine Rechtsgrundlage im Sozialrecht für Aufarbeitungsprojekte zu schaffen, so wäre dieses von Vorteil. Die jetzigen Regelungsvorschläge scheinen uns hier ggfs. nicht wirklich ausreichend, und wir regen hier zumindest nochmals eine Überprüfung an.
Wir begrüßen die Verpflichtung zur Aufbewahrung der Fallakten im Bereich der Jugendhilfe und aus Heimeinrichtungen, geben aber angesichts der bisherigen Erfahrungen aus der Aufarbeitung zu bedenken, dass die Aufbewahrungsfrist von 20 Jahren nach Vollendung des 30. Lebensjahres zu kurz ist. Bei vielen Betroffenen entsteht das Bedürfnis nach Rückschau erst mit dem nahenden Ruhestand. Aus unserer Sicht wäre eine Aufbewahrungsfrist von 35 Jahren angemessener (SGB VIII, § 9b).

UBSKM (§4ff):
Bezogen auf die Berichtspflicht halten wir einen Bericht pro Legislatur für unabdingbar. Jedoch sollte bezogen auf das Monitoring ggfs. geprüft werden, ob nicht eine jährliche Berichtspflicht sinnvoller wäre. Im Verbund mit dem aufzubauenden Zentrum wäre dies auch gerade in der Aufbauphase ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit und auch an die Fachwelt, um Entwicklungen der (sexuellen) Gewalt gegen Kinder zeitnah rezipieren zu können und ggfs. Maßnahmen zu gestalten. Veränderungen sind nicht nur von Relevanz, was die Prävalenz angeht, sondern auch bezogen auf die Entwicklung von Schutzkonzepten. Dies ist auch insofern von Bedeutung, als dass das Monitoring kein Selbstzweck sein kann, sondern auch dazu dienen soll, Strukturen weiterzuentwickeln, bzw. auch aufrechtzuerhalten. Gerade unter den derzeitigen Bedingungen, die aufgrund vielfältiger Aspekte auch Standards teilweise in Frage stellen (aufgrund des Fachkräftemangels, ökonomischer Aspekte etc.) wird dies in Zukunft Relevanz haben.

Beratung im medizinischen Kinderschutz (§ 6 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz)
Wir begrüßen die Fortführung eines Beratungsangebots, das sich an die Heilberufe richtet. Die Mittlerfunktion eines solchen Beratungsangebots zwischen den am Kinderschutz beteiligten Disziplinen und Professionen erscheint weiterhin wichtig, um gerade auch für den Bereich der Heilberufe Handlungskompetenz bei Verdachtsfällen herzustellen.
Auf S. 55 („Zu Absatz 3“) muss es bei der Facharztbezeichnung heißen: Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.

Wir bemängeln aber, dass nur die Heilberufe aufgeführt werden, aber nicht die Heilhilfsberufe und die Krankenpflege. Letzte beide sollten unbedingt ergänzt werden. Dies ist auch deshalb wichtig, da diese wesentlichen Beobachtungen im medizinischen Kinderschutz machen. Ergebnisse dazu hat die Studie von Frank geliefert (Frank, R., & Räder, K. (1994): Früherkennung und Intervention bei Kindesmisshandlung. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit).

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